Im mecklenburgischen Eichenthal wurde in einem Atombunker der DDR ein Museum zur Mahnung an den atomaren Wahnsinn des Kalten Krieges eingerichtet.
Von Thomas Volgmann
Bad Sülze. Es stinkt muffig wie im Keller eines Abrisshauses. Der Tunnel ins Bunkerinnere ist beklemmend eng und 180 Meter lang. Einer aus der Besuchergruppe will nur noch raus. Bunker-Führungsoffizier Götz Thomas Wenzel bringt den Mann zur Stahltür. Man verabschiedet sich per Handschlag. Der Rest der Besuchergruppe geht tapfer weiter durch das Halbdunkel.
„Militärisches Sonderobjekt 302“ hieß der Atombunker Eichenthal in der Zeit des Kalten Krieges. Fünf Jahre, von 1983 bis 1988, verbauten Spezialisten im Auftrag der Nationalen Volksarmee (NVA) nach sowjetischen Plänen mehr als 40 Millionen Valuta-Mark in den Betonbau. Versteckt in einem Wäldchen bei Bad Sülze zwischen Rostock und Ribnitz-Damgarten sollte eine kleine Nachrichteneinheit mit 40 NVA-Soldaten nach einem Atomschlag verschlüsselte Meldungen von der Front in die Führungsstäbe nach Moskau übermitteln. Nur 20 Kilometer entfernt von Eichenthal befand sich in Tessin-Drüsewitz die Kommandostelle der Volksmarine ebenfalls in einem Atombunker.
Gefunkt hat die NVA aus dem Nachrichtenbunker 302 nur selten. Das geheime Objekt, das mit einem 5000 Volt starken Sicherheitszaun umgeben war, sollte nicht von der westlichen Aufklärung entdeckt werden. Angeblich war der Prototyp dieses Bunkers in Kasachstan einer Atombombenexplosion in nur 600 Metern Entfernung ausgesetzt worden. Das Bauwerk habe die Belastung damals überstanden.
Das Überleben der Nachrichteneinheit im Bunker war im Kriegsfall für vier Wochen berechnet. „Dann wären die Energiereserven, die das autarke Funktionieren der Anlage ermöglicht hätten, aufgebraucht gewesen“, hört die Besuchergruppe vom Bunkerarchäologen Wenzel, der bekleidet mit einer Marinejacke, kurzen Hosen und einem Filzhut durch die Unterwelt führt. Die Gruppe geht vorbei an einem Raum, in dem Schiffsmotore den Strom für die gesamte Anlage erzeugen sollten. Authentische Geräusche aus versteckten Lautsprechern erwecken den Bunkerraum plötzlich zum Leben. Der Lärm der Motoren ist schwer zu ertragen. 37 000 Liter Diesel waren damals für die Schiffsmotoren eingebunkert worden.
Vor der Führungszentrale, von der aus im Krieg die Nachrichtenstränge gesteuert worden wären, hält die Gruppe an. Wenzel fragt: „Schwangerschaften? Epilepsie? Hörgeräte?“ Stummes Kopfschütteln, dann geht es in den Raum.
Die Besuchergruppe steht im Halbkreis um das Dispatcher-Pult, als aus einem Lautsprecher die sächsische Stimme eines NVA-Offiziers ertönt: „Aus Westdeutschland wurden Atomraketen mit den Zielen Rostock und Stralsund gestartet.“ Auf den Monitoren tauchen Flugkörper auf. Die Besuchergruppe steht wie erstarrt.
Dem Countdown in Russisch folgt ein ohrenbetäubender Knall. Die Besucher spüren ein Grollen unter den Füßen, das mit rasender Geschwindigkeit stärker zu werden scheint. Man fühlt sich in einen Albtraum versetzt. Der ganze Bunker bebt. Plötzlich schießt von hinten kalte Luft ins Genick. Die Überdruckanlage des Bunkers springt an, die todbringende Kampfstoffe vom Objekt fernhalten soll. Außerhalb hätte die Atombombenexplosion das nahe Flüsschen Trebel und das gleichnamige Tal völlig ausgetrocknet. Bei 1700 Grad Hitze wäre kilometerweit alles verbrannt. Ein gewaltiger Feuersturm hätte Geschwindigkeiten von mehr als 500 Kilometer pro Stunde erreicht und jeden Widerstand einfach weggefegt.
Auf die Soldaten im Bunker wäre nach dem Orkan eine tödliche Aufgabe zugekommen. Sie hätten die zerstörte Antennenanlage auf dem Bunker wegräumen und eine mobile Anlage aufbauen müssen – in Schutzanzügen zwar, aber ohne Überlebenschance vermutlich. Wenzel führt die Besuchergruppe hoch ans Tageslicht. Erleichterung macht sich breit, auch ein Hauch von Dankbarkeit. „Wer als Erster schießt, ist als Zweiter tot.“ Das war die bittere Logik der gegenseitigen atomaren Bedrohung und Abschreckung im Kalten Krieg zwischen Ost und West – bis 1990, dann war es vorbei. Am 2. Oktober 1990 übernahm die Bundeswehr den Bunker. Zwei Jahre später, am 7. Januar 1992 um 15.30 Uhr, wurde das „Sonderobjekt 302“ stromlos geschaltet. Alle Nachrichtenstränge wurden unterbrochen, die Eingänge zubetoniert. Niemand brauchte den Bunker.
Der Berliner Götz Thomas Wenzel holte das Bauwerk aus dem Dornröschenschlaf. „Ich wusste, wie wenig in den Schulen über den Kalten Krieg und die atomare Bedrohung gesprochen wurde. Den Bunker betrachtete ich als Chance“, erzählt er. Wenzel kaufte 2005 das 17 Hektar große Areal. Die Sanierung schritt zügig voran. Im August 2006 konnte er die ersten Gäste durch die Anlage führen. Im vergangenen Jahr zählte er bereits 15 000 Besucher.
Buchtipp: Götz Thomas Wenzel; Geheimobjekt Atombunker; Die Troposphären-Funkstation Eichenthal
„Das hier ist keine Geisterbahn“
Bad Sülze. Mit Götz Thomas Wenzel sprach Thomas Volgmann.
Götz Thomas Wenzel Foto: nk
Was wollen Sie mit der Sanierung des Bunkers und mit den Führungen erreichen?
Hier findet Geschichte zum Anfassen statt. Durch dieses anschauliche Beispiel soll Weltgeschichte erlebbar gemacht werden. Ich will die Besucher sensibilisieren für eine Zeit des Wettrüstens und des Kalten Krieges.
Welche Reaktionen erleben Sie?
Sie sind ganz unterschiedlich. In der Regel bekomme ich nach meinen Führungen Applaus. Viele begreifen den Bunker als das, was er ist, als ein als Mahnmal gegen Krieg und Wettrüsten und als Stätte der politischen Bildung. Es gibt aber auch manchmal Führungen, die funktionieren nicht, weil die Erwartungshaltung eine andere ist. Das hier ist keine Geisterbahn.
Sie inszenieren einen fiktiven Atomschlag an einem authentischen Ort. Das ist umstritten. Warum diese Inszenierung?
Ich habe sehr lange überlegt, ob wir diese Inszenierung machen. Letztlich geht es mir darum, Weltgeschichte nachempfindbar zu machen. Der Bunker selbst ist mit seinen Betonbauten und Aggregaten für Besucher, die mit einer Erwartungshaltung kommen, die durch Klisches geprägt ist, relativ unspektakulär. Für diese Gäste darf ein solches Spezialbauwerk nicht enttäuschend wirken. Wenn wir Besucher fesseln und ihnen unser Anliegen nahe bringen wollen, bedarf es einer Inszenierung, die Sinne und Fantasie anspricht.
Wie geht es weiter?
Ich habe noch unglaublich viele Wünsche. Zuerst muss ich die Ausstellungen in den Hochbauten weiter entwickeln. Es gibt an der Ostsee viele Stammgäste, die uns immer mal wieder besuchen. Denen will ich Neues bieten. Dann will ich Schulen die Möglichkeit geben, hier Projekttage durchzuführen. Dazu will ich ein kleines Jugendgästehaus einrichten. Die Idee, der Bunker als Stätte der politischen Bildung, muss weiterentwickelt werden. Stillstand darf es nicht geben.
Quelle + Fotos unter: http://www.nordkurier.de/index.php?obje ... &id=583969