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Das Schicksal des berühmten Waggon von Compiegne
Bilder aus dem Schulleben 2
Vor ca. 5 Jahren berichtete unser Klassenlehrer, Herr Kratsch, von einem Gespräch mit einem älteren Ohrdrufer Bürger, der als Jugendlicher im Frühjahr des Jahres 1945 die Überreste des berühmten Eisenbahnwaggons von Compiegne im Waldgelände zwischen Ohrdruf und Crawinkel gesehen hatte. Unser Interesse, dieses Geschehnis zu erkunden und zu dokumentieren, stießt jedoch zu dieser Zeit auf behördliches Desinteresse und auf verschlossene Archive.
Der Aufruf unseres Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum bundesweiten Schülerwettbewerb »Deutsche Geschichte – Mensch und Verkehr» holte unser Vorhaben aus der Vergessenheit zurück und setzte uns erneut in Bewegung auf der Suche nach Zeugen und Belegen. Wir merkten bald, daß sich mit dem Schicksal des Waggons weitere Ereignisse verknüpften. Unsere Forschungen führten uns in den Raum zwischen Ohrdruf, Crawinkel und Arnstadt. Wir fanden die Spuren von nach dem zweiten Weltkrieg demontierten Eisenbahnstrecken und fanden Dokumente bedeutender geschichtlicher Ereignisse in unserer engeren Heimat, die mit diesen Schienenwegen engstens verbunden waren. Unser Ziel war in erster Linie die Dokumentation des Schicksals des Waggons von Compiegne. Aber auch die Feldbahnlinien, auf denen die Häftlinge der Außenlager Ohrdruf und Crawinkel des KZ Buchenwald zur unmenschlichen Arbeit beim Bau des unterirdischen Führerhauptquartier im Jonastal transportiert wurden, haben wir aufgezeichnet. Wir sind diesen Trassen des Leidens nachgegangen. Das Buch Fred Wanders »Der siebente Brunnen«, ein erschütternder Bericht über seine Zeit im Lager Crawinkel, war unser Begleiter.
Unseren Bericht über den W aggon von Compiegne möchten wir den Leser des Waldboten in knapper Form vorstellen.
Am 11.11.1918 endete der 1. Weltkrieg. Im französischen Compiegne wurde der Waffenstillstand verhandelt und unterzeichnet. Die Unter Zeichnung fand im Salonwagen des französischen Marschall Foch statt. Der Zug im Wald von Compiegne wurde zu einem bedeutenden Denkmal der französischen Republik. Am 1.9.1939 nahm der 2. Weltkrieg von deutschem Boden aus seinen Anfang. Am 20.5.1940 wurde die Niederlage Frankreichs auf Forderung Hitlers im gleichen Wagen im Wald von Compiegne unterzeichnet. Der Waggon wurde als symbolisches Beutegut auf Befehl Hitlers nach Deutschland gebracht.
Herr Kratsch erzählt uns: Vor ungefähr acht Jahren sah ich, von der ARD ausgestrahlt, einen Dokumentarfilm über diesen Waggon. Ein Soldat der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Angehöriger des Begleitkommandos, berichtete, daß dieser Wagen auf dem Weg nach Ohrdruf war. Dort sollte er in einem unterirdischen Stollensystem untergebracht werden. Auf dem Weg dorthin sei er während eines alliierten Luftangriffes irgendwo ausgebrannt. Ein ZDF-Journalist, der sich für unsere Arbeit interessiert, fragte in Paris nach und teilte uns mit, daß der Verbleib des Waggons von Compiegne dort unbekannt sei.
In Ohrdruf, Crawinkel und Wölfis fanden wir Zeugen, die über die letzten Stationen des Weges des Eisenbahnwaggons berichteten. Im Frühjahr des Jahres 1945 wurde der Waggon von Go-tha über Ohrdruf, hier stand er mehrere Tage auf dem Bahnhof, nach Crawinkel überführt. Herr Paul Ostermann aus Crawinkel zeigte uns die Stelle, an der er ihn auf einen nun demontierten Nebengleis gesehen hatte.
Später wurde der Waggon über Nebengleise in die Aue geschoben, wo er zwischen dem 1. und 3. April 1945 in unmittelbarer Nähe der Straße von Ohrdruf nach Crawinkel, von dort kämpfenden SS-Einheiten in Brand gesetzt wurde. Herr Horst Zent-graf aus Ohrdruf hat dort die Überreste als Jugendlicher bei Aufräumungsarbeiten gesehen. Er sagte uns, daß auch Buchstaben der Waggonbeschriftung in der Asche lagen. Neben den Interviews galt unsere Suche verständlicherweise Gegenständen, die als endgültige Beweisstücke nötig waren. Und so waren wir nahezu überglücklich, als uns Herr Ostermann einen Buchstaben »R« aus Bronze, Teil der Waggonbeschriftung, in die Hände legte und wir somit den ersten Beweis fotografieren konnten. In den darauffolgenden Wochen wuchs die Zahl der Sachzeugen in faszinierender Weise. Wir konnten zufrieden unseren Wettbewerbsbericht schreiben und nach Hamburg schicken.
Die Schienenwege in der Umgebung unserer Heimatstadt Ohrdruf, auf denen Menschen von einem unmenschlichen System zur Sklavenarbeit transportiert wurden, auf denen der berühmte und der französischen Nation bedeutungsvolle Waggon von Compiegne seine letzten Meter rollte, sind demontiert und aus unserer Landschaft verschwunden. Der interessierte und nachdenkliche Beobachter kann ihre Spuren noch finden. Geschichte so nah erlebt, irgendwie war es für uns ein besonderes Erlebnis.
Abschließend möchten wir ein Zitat aus einem Buch Richard von Weiszäckers, des Schirmherren des Jugendwettbewerbes Ihnen, liebe Leser, nahebringen:
»Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen, zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten.«
Für ihre Hilfe bei unserer Forschungsarbeit bedanken wir uns bei Herrn Horst Zentgraf, Herrn Paul Ostermann, Frau und Herrn Schuhmann, HerrnMichael Koch, Frau Heller, Herrn Peter Gramer und einem Herrn besonderen Dank unserem Lehrer und Betreuer während der Forschungsarbeit Herrn Gerd Kratsch aus Wölfis. Einen.
Christina Kratsch, Jens Fiege, Thomas Hahn, Schüler der Michaelisschule Ohrdruf