von Klaus Reinhold – Chronik Arnstadt (704 – 2000)
Teil III
Höhepunkte der Stadtgeschichte und sonderbare Begebenheiten
Abschnitt: Der Einmarsch der 89. Infanterie-Division in den Arnstädter Raum, Seite 218
April 1945
1. Bis Gotha
Am 4. April 1945 kam das Divisionskommando nach Nesselröden an der Autobahn Frankfurt -Dresden. Nach einem wilden 48-Stunden-Vormarsch entlang der verlassenen Autobahn vereinte sich CT 5 mit der 4. Panzer-Division vor Gotha. Als sich das 3. Bataillon des 355. zum Angriff auf die historische Stadt Gotha bereitmachte, ergab sich die Stadt.
Das Panzer-Infanterie-Team war 50 Meilen vor allen angrenzenden Truppen vorausgeeilt, ihm wurde befohlen, zu warten, bis der Rest der Division die Autobahn gesichert und Eisenach erobert hatte. Zur selben Zeit ging CT 4 nahe Waltershausen in Stellung. Dies dislozierte die Division nahe der sogenannten Werra-Linie, und war Start der Bewegung zur Saale. Diese, wie andere kleine Flüsse, gaben den Deutschen natürliche Verteidigungslinien, aber sie entschlossen sich statt dessen zum Rückzug durch den dichten Thüringer Wald, ihn als Fluchtroute benutzend. Dort kam es zu den härtesten Kämpfen. Als sich diese Offensive entwickelte, wurde deutlich, daß die Wehrmacht in Zentral-Deutschland aufgehört hatte, eine effektive Kampfkraft zu besitzen.
Hitlers viel gefürchtetes inneres Herzstück war weitgehend ohne Verteidigung, ohne Luftwaffe, Panzer und erstklassige Truppen. An einigen Stellen verteidigten sich SS-Truppen zäh. Öfter zeigten Zivilisten die weiße Fahne und Soldaten ergaben sich zu Hunderten, als Kampfgruppen tief in das Herz des besiegten Reiches stießen.
Am 6. April wurden die Korps-Grenzen durch Befehl geändert und die Richtung der Vorwärtsbewegung von Ost auf Südost geändert. Die 87. Division war auf dem Marsch, um die 90. auf der Rechten abzulösen, und auf der Linken wurde die 65. Division zur Sammlung in der Korps-Reserve befohlen, um von der 80. Division abgelöst zu werden. Der Rest des 354.Infanterie-Regiments säuberte die linke Seite der Division vom Feind und bereitete sich auf den Kampf nach Südosten vor. Das 355.Infanterie-Regiment, noch östlich der Division in der
Nähe von Gotha, schützte den vorderen Abschnitt der 89. in einem Sektor von Seebergen bis Wölfis. Die 89. Aufklärungstruppe patrouillierte die Linie von Tabarz südöstlich bis Friedrichroda entlang der 353-354. Grenze, mußte sich aber wegen starken feindlichen Feuers zurückziehen.
Der Widerstand blieb stark am 7. und 8. April, besonders im Thüringer Wald.
Das 355. schützte weiterhin die Divisionsfront von Ohrdruf südöstlich bis Wölfis. Bei Ohrdruf riß das 355. und die 4. Panzer-Division ein Stück des Grintes aus Deutschlands hässlichem Gesicht, als sie das größte KZ einnahmen, das US-Truppen zu dieser Zeit befreit hatten. Kurz nach dem Eintreffen der Panzer und Infanterie wurde der Bürgermeister von Ohrdruf und seine Frau gezwungen, den Platz zu besichtigen. Sie leugneten, etwas über das, was hier geschehen war,
gewußt zu haben und begingen in der Nacht Selbstmord. Bis zum 10. April beendete das 353. die Säuberung seines Gebietes und ging in die Reserve bei Friedrichroda, als CT 4 auf der Rechten und CT 5 auf der Linken vordrängten, um die Saale ostwärts zu erreichen.
2. Arnstadt
Das 3./355. begann mit den Verhandlungen zur Übergabe Arnstadts. Leutnant Albert E. Weber, S-2 Offizier des Bataillons handelte als Parlamentär, ihm wurde aber übermittelt, daß der Plan der höheren Führung nicht die Übergabe der Stadt vorsah. Um 13.00 begann der Angriff und nach einem Artillerie-und MG-Duell nahmen Panzer und Infanterie-Angriffsgruppen die Stadt. Ein großes Arbeitsbataillon mit Frauen wurde befreit. Auf der Rechten war der Widerstand hartnäckig, verstärkt mit Feuer von Panzern und SFL. Das 354. geriet in schweres Feuer von der Hochebene südlich von Ohrdruf und ein Bataillon umging Wölfis, nachdem es fast eine Stunde durch feindliches Artillerie-Feuer aufgehalten wurde. Diese 2 Punkte wurden später durch die 87. Division bereinigt. Gegen 18.15 Uhr erreichte das 3./354 Gossel und Leutnant Glen C. Below ging freiwillig mit zwei Zivilisten in die Stadt um die Übergabe zu fordern. Das Trio wurde sofort von einer Gruppe SS-Leuten gefangen genommen. Beim zögernden Rückzug der Deutschen organisierte Leutnant Below die Flucht und brachte die Information, daß die Stadt nicht mehr besetzt ist. Später in der Nacht wurde der Ort Ziel von feindlichem Granat-Werfer- und Artilleriebeschuß.
Das 2. Bataillon an der Linken der Regiments-Zone nahm Espenfeld, erreichte die Gera bei Siegelbach und am 11.4. überquerte es den Strom auf einer Fußbrücke nach einem nächtlichen Artilleriebombardement. In der Nähe von Witzleben geriet das 2. Bataillon in heftiges Feuer von Artillerie, automatischen Waffen und 20mm-Kanonen. Kompanie E war festgenagelt für 6 Stunden durch starkes Artilleriefeuer und Feuer aus automatischen Waffen. Kompanie G nahm den Angriff mit aufgepflanzten Bajonetts aus dem Wald nahe der Nachbarortschaft von Wüllersleben auf und trotz vernichtendem Feuer, welches den Kompanie-Chef und 3 Zugführer verwundete, erreichten sie nach 900 Yard in großen Sätzen die Stadt und besetzten sie gegen 19.30 Uhr. Bei dem Angriff verlor Kompanie G 21 Verwundete und 7 Tote, Kompanie E 3 Tote und 17 Verwundete. Bei den verschiedensten Gelegenheiten besetzten kleine feindliche Gruppen im Schutz der Nacht bereits eingenommene Ortschaften, störten die Truppen, Nachrichtenverbindungen und Versorgungspunkte.
Ein anderes Problem völlig anderer Natur, welches der Division einige Sorgen bereitete in dieser Zeit, waren die befreiten Ausländer und Heimatlosen (DP – displaced persons). Tausende dieser unglücklichen Männer und Frauen waren durch die Division befreit worden. Ströme von Russen, Polen, Franzosen, Belgiern, Italienern und anderer Nationalität zu Fuß und mit allen erdenklichen Beförderungsmitteln nahmen Richtung ihrer Heimatländer und überschwemmten die Straßen und behinderten in vielen Fällen die Bewegung. Obwohl es sehr dankbar war für die Divisions-Truppen und die Abteilungen der Militärregierung, welche unaufhörlich zugunsten von ihnen arbeiteten, so bedrohten ihre antideutschen Demonstrationen doch gelegentlich die militärische Sicherheit. In Arnstadt mußte eine Infanterie-Kompanie abgestellt werden, um mit der großen Anzahl der dort befreiten DP’s klar zu kommen. Der Gefechts-Stab der Division war inzwischen nach Waltershausen und dann nach Arnstadt verlegt worden, wo TF Crater am 2.4. gebildet wurde. Die TF versammelte sich in der Nähe von Riechheim und bewegte sich von dort nach Hohenfelden mit dem Auftrag, nach Bad Berka und Blankenhain vorzustoßen, dann östlich 5 Brücken über die Saale zu nehmen und zu halten, flußauf- und abwärts von Kahla.
In Arnstadt kam eine Einheit ins Gefecht, welche nichts direkt mit dem Kampf zu tun hatte.
Die 714. Feldzeug-Kompanie (Versorgungs-Kompanie) operierte außerhalb der Siemens Rundfunkfabrik. Irgend jemand in einem Haus entlang der Straße feuerte bei beginnender Dunkelheit auf den Platz. Das war ein fataler Fehler, da die Versorger keinen Mangel an jeglicher Art von Waffen hatten. Sie drangen in das Haus ein, unterstützt durch Männer der Divisions-Artillerie-Luftsektion, deren Landebahn in der Nähe der Fabrik lag. 7 Deutsche wurden getötet und das Haus wurde zerstört. Quer durch Arnstadt alarmierte der Tumult den Divisions-Gefechts-Stand, aber die Versorger und die Luftmänner hatten die Situation im Griff.
Die Gefangenen der Division zählten im Ganzen mehr als 15000. Verschiedene gut bekannte Personen waren unter den Gefangenen in der Saale-Region. Die Liste beinhaltet: Richard Walter Darre, früher Naziminister für Landwirtschaft, Dr. Manfred Zapp, früher Chef-Nazipropagandist in den USA, Dr. Richard Hebermehl, Direktor des Reichswetterdienstes.
Als Zugabe enthielt das Gebiet eine Anzahl an militärischen Schulen, und der Käfig der „Rollenden W“ war gefüllt mit ehemaligen Schülern und Ausbildern, welche hastig in die Frontlinie eingegliedert wurden, ausgerüstet mit Bazookas und Panzer-Fäusten. In den meisten Fällen ergaben sie sich, nachdem eine Artillerie-Salve in ihrer Nähe einschlug. Die Scharfschützen und einige Minderjährige schadeten zwar, aber dank der Wachsamkeit der Sicherheits- und Geheimdienststellen, hatte die so beschworene Werwolf-Bewegung nie eine Chance
in der 89er Zone.