Reise in die Dunkelheit – Fahrt ins österreichische Ebensee brachte zahlreiche Ideen und Vorstellung – vom 03.05.2003
(c) Arnstädter Stadt-Echo im Mai 2003
Reise in die Dunkelheit
Fahrt ins österreichische Ebensee brachte zahlreiche Ideen und Vorstellungen über den Aufbau einer Gedenkstätte
Donnerstag, 1. Mai. Während fast alle Arnstädter noch tief vor sich hin schlummern, schlängelt sich ein großer moderner Volvo-Reisebus durch die leeren Straßen zum Arnstädter Wollmarkts-platz. Vorletzte Einsteigestation für eine Reise in dunkle deutsche Geschichte. Die Reise führt Mitglieder und Freunde der Arnstädter Geschichts- und Technologiegesellschaft Jonastal e.V. nach Ebensee in Österreich zum Besuch in das einstige KZ-Lager Ebensee, welches 1943 inmitten der herrlichsten Natur von den Nazis angelegt wurde.
Nach der Ankunft am Nachmittag gibt es einen ersten Besuch des Lagers. Auf dem dortigen Eh-renfriedhof wird ein Blumengebinde in Ehrung an die über 8.300 Häftlinge abgelegt, die hier den Lagertod starben wie hun-dertausende Häftlinge in all den furchtbaren Lagern des Terrors. Eine Merkwürdigkeit fällt besonders auf. Auf dem ehemaligen Gelände des KZ baute man eine Wohnsiedlung mit wunderschönen Häuschen. Ein fragwürdiges Gefühl. Man stelle sich vor: Auf dem Gelände des KZ Buchenwald würden Immobilienhaie Land und Grund erwerben und Eigenheime darauf bauen!
Am gleichen Tag gibt es einen Abstecher zum Zeitgeschichte Museum. Christian Mühlmann hat Dienst. Er ist Zivi, doch steht er gut im Stoff. Das Museum entstand vor zwei Jahren. Es beherbergt österreichische Geschichte nach dem 1. Weltkrieg bis 1955, einschließlich der KZ-Gedenkstätte Ebensee. Es macht die Geschichte nachvollziehbar vor allem mit dem Geschehen hier in der Region. Das alte einstige Schulgebäude mit drei Etagen hat Platz dazu. Cirka 1000 Fotos, Plakate, Dokumente, zwei Videostationen und eine Dia-Show runden die Ausstellungen ab. Noch am Abend gibt der Leiter der Gedenkstätte, Dr. Wolfgang Qua-tember, einen Überblick über die Geschichte des KZ Ebensee.
Am nächsten Tag werden die unterirdischen Stollenanlagen besichtigt, die ursprünglich dazu gedacht waren, Teile der Raketenversuchsanlage Peenemünde aufzunehmen. Da schrieb man das Kriegsjahr 1943. Doch im Winter 43/44 zwang der Kriegsverlauf zum Umdenken. So wurde in der Anlage A eine Erdölraffinerie aufgebaut, im Februar 1945 aber ging diese erst in Betrieb und lieferte den so dringend benötigten Treibstoff. (Die Anlage arbeitete übrigens bis 1952) In der Anlage B wurde die Produktion von Panzergetrieben vorbereitet.
In der Anlage A wird heute noch gearbeitet. Man gewinnt Kalkstein für die Zementherstellung. Eine Besichtigung wird nur für die Gäste organisiert. Die Stollen sind mächtig. Zwei Schienenstränge führen hinein, bis acht Stockwerke reicht stellenweise eine der Anlage, in welcher die Firma heute einen Fahrstuhl eingebaut hat. Beim Bau der Anlagen wurden schon damals hochmoderne Technologien eingesetzt. Mit einem neuen Verfahren, der Herstellung von Betonfertigteilen und deren Einbau war der Bau der Anlagen viel effektiver als der bisherige Bau solcher Anlagen. Die Häftlinge profitieren davon kaum.
Für die Anlage A waren 5,4 Kilometer Stollen geplant, für die B-Anlage 2,2 Kilometer. Als am 6. Mai 1945 die Amerikaner das Lager befreien, sind zwischen 60 und 70 Prozent der Anlagen fertig, ca. 8.300 Häftlinge tot. Gestorben an Entkräftung, an Unterernährung, Krankheiten und Terror. Man steht fassungslos an den Tafeln im Gedenkstollen, der seit 1996 erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Der Verein Widerstandsmuseum Ebensee hat sich der Pflege und des Aufbaus dieser Gedenkstätte angenommen. Unterstützt wird er u.a. durch das österreichische Bundesministerium des Inneren. Vergleiche zu den Ereignissen im Jonastal drängen sich durchaus auf. Doch hier weiß man wenigstens, was mit den Anlagen geschehen sollte, währenddessen sich im Jonastal noch immer Legenden und Vermutungen um den Tod tausender Häftlinge ranken. Diese Geschichte muss dringend aufgearbeitet werden.
Der nächste Tag führt in die alteingesessene SOLVAY-AG – eine Sodafabrik, die es in Ebensee seit 1813 gibt. Betriebsleiter Dr. Gerhard Hubweber führt die Besucher in eine weitere Anlage, die hier von Häftlingen in den Berg getrieben wurde. Ohne Helm geht da nichts. Eine Anlage zur Sauerstoffgewinnung sollte hier installiert werden. Später sollten die Anlagen auch als Luftschutzbunker genutzt werden, zur Aufstellung der geplanten Produktionsanlagekam es nicht mehr. Die bis zu 18 Meter hohen Stollen mit ihren Nebengängen etc. werden heute zur Gewinnung bzw. Lagerung von Sole genutzt.
Als der Verein am Nachmittag in Bad Ischl ein kurzes Resümee zieht, ist er um einiges an Wissen und Erfahrung reicher. Die Wichtigste: In Österreich hat man sich intensiv mit dieser Geschichte auseinander gesetzt. Möglichkeiten geschaffen, sie zu vermitteln. Vor allem an Schüler und Jugendliche, 70 Prozent aller Besucher kommen aus Schulen und Jugendeinrichtungen. Eine zeitgeschichtliche Bibliothek mit über 3000 Bänden steht Besuchern und Interessierten zur Verfügung. Der Besuch befürwortet imgrunde den Aufbau einer zentralen Gedenkstätte in Arnstadt. So oder ähnlich kann man es machen.
In Bad Ischl herrscht am Nachmittag Urlaubsstimmung. Schönes Wetter, freundliche Menschen, eine kleine, bezaubernde Stadt. Ein Bummel durch die Einkaufsmeile. Die Arbeitslosigkeit liegt hier übrigens um die 5 Prozent. Am Abend werden beim Stammtisch all die Erfahrungen und Eindrücke ausgewertet. Am nächsten Tag geht es zurück nach Deutschland. Kurzer Halt in der Enzianbrennerei Grassl. Videovorführung, Führung durch Brennmeister Roman Hillebrand, Verkostung einige leckerer Brände, die eine oder andere Flasche geht mit auf die Heimreise. Dann klettert der Bus hinauf auf den Obersalzberg. Der Besuch der dortigen Dokumentationsstelle, erst im Oktober 1999 durch den Freistaat Bayern errichtet, überraschte uns sehr.
Doch leider waren die zwei Stunden viel zu kurz, all das hier Dokumentierte zu erfassen. Über 900 Fotos, Dokumente, Plakate, Film-und Tonaufnahmen werden hier über das einstige „Feriendomizil des Führers“ und seines späteren zweiten Regierungssitz gezeigt. Besucht man noch den hier mit einbezogenen Bunker, dann ist Zeit alles. Erster Zwischenstopp am schönen bayerischen Chiem-see. Ein fantastischer Anblick. Am Abend des 3. Mai steuert Uwe Blechschmidt den 17.640 Kilo schweren Reisebus auf den Arnstädter Wollmarktplatz. Wir sind wieder zu Hause. Doch nichts ist so geblieben wie es war. Der Verein weiß, dass die Geschichte aufgearbeitet werden muss. Nichts zu beschönigen oder zu ideologi-sieren ist wichtiger denn je. Denn wenn man nur annähernd versteht, wie sich so viel Grausames entwickeln konnte, kann man vielleicht ein wenig dazu beitragen, dass sich derartiges nie wiederholen kann. Nicht in Deutschland und nirgends auf der Welt.