Mit dem Lada der VP – Einziger Standort mit taktischen Atomwaffen einmal bei Crawinkel – vom 30.08.2004
Quelle: Thüringer Allgemeine 30.08.04
Mit einer Feierstunde im Schauspielhaus wurde morgen vor zehn Jahren die Westgruppe der Roten Armee verabschiedet. Es war der Schlusspunkt des Kalten Krieges. Zurück blieben verfallene Kasernen und verseuchtes Land. Allein in Thüringen war diese Fläche 17 000 Hektar groß. Deren Umwandlung ist erfolgreich abgeschlossen, bilanziert jetzt die Thüringer Landesentwicklungsgesellschaft: Knapp 380 Hektar Bauland und 4800 Hektar Wald stehen noch zum Verkauf.
Der General hat sich so sehr gefreut, dass er sein Geschenk gleich ausprobieren wollte. Als 1992 auf der Wachsenburg die sowjetische Einheit aus Ohrdruf verabschiedet wurde, überreichte Thüringens damaliger Innenminister Willibald Böck (CDU) ein Jagdgewehr aus Tula an den Militär. Nachdem der Kesselgulasch mit zwei Flaschen Wodka verdünnt war, ging der passionierte Schütze mit auf die Jagd. Dass die neue Waffe aus dem Fundus der Antiterror-Einheit des Landeskriminalamtes stammte, blieb ein wohl gehütetes Geheimnis.
Andreas Krey, Geschäftsführer der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG), kann wahrscheinlich stundenlang derartige Geschichten erzählen. Der 41-Jährige war damals Mitarbeiter des Referates ZMZ, zivilmilitärische Zusammenarbeit. Das war die Schnittstelle zwischen den sowjetischen Truppen, dem Bundesvermögensamt und dem Land Thüringen. Zwar konnte in Thüringen schon im November 1992 ein Schlussstrich für die Rückführung gezogen werden, ein normaler Verwaltungsakt war es nicht, erinnert sich Krey: „Manchmal waren es unorthodoxe Handlungsweisen.“
Im Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Einheit waren 1990 die technischen Fragen festgelegt worden. Der Abzug ist bis zum Jahre 1994 gedehnt. Immerhin hatten die Sowjets in der DDR sechs komplette Armeen stehen, die ein Gelände von der Größe des Saarlandes nutzten. Zu den 1500 Liegenschaften zählten Übungsplätze, die ein paar hundert Quadratkilometer einnahmen. Allein 338 000 Soldaten und 207 000 Zivilisten galt es in die Heimat zu expedieren. So rollten 145 000 Eisenbahnwaggons nach Russland. Beladen mit etwa 2,7 Millionen Tonnen Material, darunter 677 000 Tonnen Munition.
Reibungslos verlief der Transport nicht. Dramatisch änderte sich die politische Lage, weiß Rainer Kühne zur berichten, der im Erfurter Innenministerium ebenfalls den Rückmarsch betreute. „Nachträgliche Waffenbrüderschaft“ nennt zum Beispiel er die Forderung Polens, für den Transit pro Tonne Material bis 40 000 Dollar zu verlangen: „Natürlich wurde dann Munition zurückgelassen.“ Man wich auf den Seeweg aus und verschiffte die Militärgüter über Rostock und Wismar. „Dadurch wurde das Volumen noch einmal begrenzt“, erklärt Kühne. Zudem erwartete die Heimkehrer eine ungewisse Zukunft. „Mit dieser Perspektive vor Augen, dachte ich damals, die drehen uns durch“, sagt Andreas Krey.
Geholfen hat wohl der volkstümliche Umgang der Thüringer mit den Sowjets, dass die hier stationierte 8. Gardearmee mit ihren mehr als 35 000 Angehörigen so reibungslos das Land verließ. „Mit Geschenken haben wir für Recht und Ordnung gesorgt“, bestätigt Krey: „Aus dem Bestand der Volkspolizei wechselten ausgemusterte Ladas den Besitzer.“ Der Tauschwert in Russland soll bei einer 2-Raum-Wohnung gelegen haben. Mit einem feuerwehrroten Wartburg fuhren indes die Mitarbeiter des Innenministeriums in die Kasernen. Die Offiziere waren bemüht, ihren Stolz zu bewahren, erzählt Krey. Bei der Übergabe der verlassenen Liegenschaften habe es immer ein Fest gegeben: „Die Sowjets haben uns jedes Mal betrunken gemacht.“
Andererseits nahm das Innenministerium eine besondere Verantwortung wahr. Deserteure, so Krey, wurden sofort nach Westdeutschland gebracht, um sie vor dem Zugriff der sowjetischen Militärpolizei zu schützen. Er selbst habe einen derartigen Transport nach Fulda begleitet. Rund 150 Soldaten sollen ihre Einheiten verlassen haben, erinnert sich Rainer Kühne, um in Deutschland Asyl zu beantragen.
Im November 1992 wurde das Land Thüringen dann um 17 000 Hektar größer. Etwa 5000 Hektar behielt die Bundeswehr. 112 Kasernen, Einzelobjekte, Truppenübungsplätze, ja auch drei Flugplätze wurden indes vom Freistaat übernommen. Die Sanierung der Hinterlassenschaften wurde vom Thüringer Umweltministerium auf mindestens 1,4 Milliarden Mark geschätzt. „Etwas zu hoch gegriffen“, räumt Andreas Krey jetzt ein. Die Hinterlassenschaften entpuppten sich nicht als Trojanisches Pferd.
Chemische oder biologische Waffen wurden nicht gefunden. Kurz nach dem Mauerfall ist vermutlich der einzige Standort mit taktischen Atomwaffen geräumt worden, der sich, so weiß es Andreas Krey, in Crawinkel befand. Schwer belastete Flächen wie ein Munitionslager bei Gera oder ein Tanklager in Crawinkel verblieben in der Verwaltung des Bundes. Und dass es in jeder Kaserne eine kleine Tankstelle gab oder eine Wagenrampe, an der Öl auslief, „damit war auch bei abgewickelten Kombinaten zu rechnen“.
So bilanziert der LEG-Chef auch ein positives Ergebnis bei der Umwandlung der Militärflächen, für die der Freistaat insgesamt 78 Millionen Euro ausgab. Die Einnahmen durch Verkauf und Vermietung sollen hingegen bei etwa 90 Million Euro liegen. Mehr als 3600 Arbeitsplätze sollen dabei entstanden sein. Nur 378 Hektar Bauland sowie 4836 Hektar Wald stünden noch zum Verkauf. Gerade weil man hier so früh mit der Vermarktung begonnen habe, „steht Thüringen in den neuen Bundesländern am besten da“. Der Abschied der Sowjets fiel in eine Zeit, in der das ganz Land im Umbruch begriffen war, „darum ist uns das wohl gar nicht aufgefallen“.
29.08.2004 Von Karsten JAUCH