Historiker will deutsche A-Bombe belegen – Hitlers willige Bastler – vom 14.03.2005
Link zur Diskussion im GTGJ-Forum: Rainer Karlsch: Hitlers Bombe
Quelle: Süddeutsche Zeitung am 14.03.2005
Historiker will deutsche A-Bombe belegen
Hitlers willige Bastler
40 Jahre lang grübelten Geschichtsforscher daraüber, warum die Deutschen eigentlich im zweiten Weltkrieg keine Atombombe besaßen. Ein Buch, das heute erscheint, behauptet nun: Die Deutschen besaßen eine.
JEANNE RUBNER
Kriege, Waffen und Verbrecher bilden einen guten Nährboden für Verschwörungstheorien und Legenden. Dass Deutschlands Physiker im Zweiten Weltkrieg den Nazis die Bombe vorenthalten hatten, war eine solche Legende. Es dauerte vierzig Jahre, bis der Mythos der mutigen Wissenschaftler um Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker widerlegt war. Denn nicht ihr bewusstes Hintertreiben, sondern mangelnde Ressourcen führten dazu, dass die Forscher von einer Bombe und auch von einem Atomreaktor weit entfernt waren.
Falsch, behauptet nun der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch — es habe sehr wohl einen funktionierenden Kernreaktor in der Nähe Berlins sowie Waffentests in Thüringen und auf Rügen gegeben. Belege dafür hat Karlsch in seinem Buch „Hitlers Bombe“ zusammengestellt, das am heutigen Montag bei der Deutschen Verlags-Anstalt erscheint. In einer Pressekonferenz sollen Geheimnisse gelüftet werden. Doch Karlschs Argumentation könnte sich schnell als Legende erweisen — nicht, weil der Autor ein Spinner wäre. Der Spezialist für den Uran-Bergbau in der früheren DDR gilt als seriös. Doch nach all dem, was man bisher weiß, fehlen ihm für seinen neuesten Thesen seriöse Beweise.
Was will Karlsch belegen? Erstens hätten in Gottow südlich von Berlin Forscher um den Physiker Kurt Diebner einen Reaktor zum Laufen gebracht. Die Gruppe bei der Heeresversuchsanstalt wäre damit erfolgreicher gewesen als die von Heisenberg. Dessen Anordnung, die zuletzt im schwäbischen Haigerloch stand, wo die Amerikaner sie beschlagnahmten, wurde nie kritisch, es kam also nie eine Kettenreaktion zustande. Dass die Konkurrenz um Diebner erfolgreicher war, ist längst bekannt. Dass Kurt Diebner allerdings seinen Reaktor zum Laufen bekam, ist neu — und unbewiesen. Denn die Bodenproben, die außergewöhnliche Mengen an Strahlung enthalten, taugen nicht zum Beweis. Die Radioaktivität könnte wohl auch von nicht kritischen Versuchen stammen oder möglicherweise sogar von anderen militärischen Übungen.
Karlschs zweite und noch sensationellere Vermutung: Unter dem Physiker Walther Gerlach, seit 1944 offiziell Leiter der deutschen Kernforschung, soll es Atomwaffentests mit mehreren hundert Toten gegeben haben. Es habe sich nicht um Explosionen konventionellen Sprengstoffs, der mit strahlendem Material durchsetzt war („schmutzige Bombe“) gehandelt, sondern um eine Art Wasserstoffbombe. Funktioniert haben soll das folgendermaßen: Wenn zwei Hohlladungen mit großer Geschwindigkeit aufeinander treffen, können Atomkerne verschmelzen und große Mengen an Energie freiwerden. Erich Schumann, Forschungschef des Heereswaffenamtes, hatte diese Idee bereits 1944 niedergeschrieben, das hat Karlsch im Schumannschen Nachlass entdeckt. Er meint nun, Diebner habe den Vorschlag tatsächlich umgesetzt, 1944 auf Rügen und 1945 auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf südlich von Gotha.
Den Physikern im Dritten Reich hatte gedämmert, dass sie für eine Atombombe nicht genügend spaltbares Material hatten. Für eine wirklich potente Waffe bedurfte es eines grundlegend anderen Weges, und die Idee mit der Kernfusion (die auch in Wasserstoffbomben zur Anwendung kommt) war so dumm nicht, wenn sie auch nicht so funktioniert, wie sich die Forscher das damals vorstellten.
Im übrigen belegt Karlsch durchaus seriös, dass die Kernforscher über bislang unbekanntes Know-how verfügten. Carl Friedrich von Weizsäcker etwa meldete 1941 ein Patent an, in dem erstmals das Prinzip einer Plutoniumbombe beschrieben war. Und dass — im Gegensatz zur bisherigen Lesart — Diebner weitaus erfolgreicher war als Heisenberg und seine Truppe wahrhaben wollte, das kann Karlsch auch zeigen.
Äußerst dürftig sind hingegen die Beweise für tatsächliche Waffentests. Erstens: So wie Schumann sich das mit den Hohlladungen vorgestellt hatte beziehungsweise so wie Karlsch das rekonstruiert hat, kann eine Kernfusion nicht funktionieren. Zweitens: Die Augenzeugenberichte, auf die Karlsch sich stützt, sind abenteuerlich. Er zitiert — im Fall der Bombentests von Thüringen — Aussagen von Zeugen, die nachweislich nicht ernst zu nehmen sind. Für die Waffenversuche auf Rügen stützt er sich auf einen inzwischen fast neunzigjährigen Italiener, dessen Aussagen sich ebenfalls nicht nachprüfen lassen. Drittens: Die Analysen der Bodenproben lassen keine eindeutigen Schlüsse zu. Neue Untersuchungen könnten möglicherweise mehr Klarheit bringen, sie werden allerdings erst in einem Jahr abgeschlossen sein.
So lange wollten Karlsch und sein Verlag indes nicht warten. Man hat wohl vermutet, dass die Enthüllungen im Zusammenhang mit dem Gedenken an das Kriegsende vor 60 Jahren auf mehr Interesse stoßen würden. Karlsch deutet das auch an, indem er zugibt, dass sein Beweismaterial nicht vollständig ist. Angeheizt hat das Interesse auch die wohlwollende Kommentierung des US-Historikers und Kenners des NS-Atomprogramms Mark Walker, der Karlsch bedeutende Entdeckungen bescheinigt, ohne allerdings von einer Bombe zu sprechen. Nun werden weitere Historiker die Quellen auseinander nehmen müssen.
(SZ vom 14.3.2005)