Der die Bombe sucht – Die Nazis hatten Atomwaffen, sagt Thomas Mehner – vom 02.04.2005
Quelle: Financial Times am 02.04.2005
Der die Bombe sucht
Die Nazis hatten Atomwaffen, sagt Thomas Mehner. Seine These ist Historikern bekannt – aber sein Name nicht
Von Benjamin Prüfer und Sebastian Matthes
Mit einem roten Schraubenzieher deutet Thomas Mehner auf die Landkarte. „Die SS baute ihre Anlagen in der Nähe von Ziegeleien. Hier war eine“, sagt er und bewegt die Metallspitze über das Papier in Richtung eines Dorfes. „Aber wo sind die ganzen Ziegel hin?“ Er liefert keine Antwort auf die Frage. Stattdessen blickt er nur auf einen sonderbaren gelben Kreis im Gebiet des Truppenübungsplatzes Ohrdruf in Thüringen. Und der Zuhörer versteht: Dort sollen die Ziegel sein, tief unter der Erde, verbaut in unentdeckten Bunkeranlagen. Dort sollen die Nazis Atombomben entwickelt haben. Und Sachen, von denen man nicht zu träumen wagt. Interkontinentalraketen. Molekularbomben. Todesstrahlen.
Die Karte sei ihm von jemandem zugespielt worden, der selbst am Bau der Anlagen beteiligt gewesen ist. Mehner ist sich nicht sicher, was die farbigen Zeichen bedeuten sollen. „Alle liegen auf einer Höhenlinie.“ Das sei doch mehr als auffällig. Und dann sei da das Ding, das aussieht wie eine Eistüte. Es befinde sich genau dort, wo 1945 der Atombombenprototyp der Nazis explodiert sei. Kann das ein Zufall sein?
Mehner führt einen Kreuzzug. Er will der Welt beweisen, dass die Nazis Atombomben hatten. Und dass unter dem Truppenübungsplatz Ohrdruf noch heute eine unentdeckte Unterwelt existiert – ein Nazi-Wunderland hinter den Spiegeln. Außerhalb Thüringens kennt kaum jemand Mehners Namen. Doch wenn er im Gasthaus Goldene Henne in Arnstadt Vorträge hält und von anonymen Quellen aus Israel und Argentinien berichtet, dann reichen die Stühle nicht. Mehner wohnt in Zella-Mehlis, nicht weit vom sagenumwobenen Jonastal und dem Truppenübungsplatz Ohrdruf. Die Gegend ist die deutsche Area 51, eine Pilgerstätte für Schatzsucher und Verschwörungstheoretiker. Mal wurde hier das Bernsteinzimmer vermutet, dann waren es Ufos mit Hakenkreuzemblemen.
Jetzt folgen den Schatzsuchern Kamerateams vom ZDF, von Focus TV und dem MDR. Denn im März stellte der Berliner Historiker Rainer Karlsch auf einer Pressekonferenz in Leipzig vor 130 Journalisten sein Buch „Hitlers Bombe“ vor, das von der als seriös geltende Deutschen Verlags-Anstalt verlegt wurde. Darin behauptet er, die Deutschen hätten im März 1945 tatsächlich einen Nuklearwaffenprototyp bei Ohrdruf getestet. Die „Bild“-Zeitung räumte eine Seite für Karlsch frei, der „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ zerrissen das Buch, „Focus“ lobte es. Die Republik war aufgewühlt. Nur die Thüringer waren es nicht – schließlich behauptet Mehner das schon lange. Er ist der geistige Vater von Karlschs Bombe und lieferte die Stützpfeiler für dessen These eines deutschen Nukleartests.
Doch an Mehner ging der Medienrummel vorbei. Er wurde übersehen. Nur während einer „History“-Sendung des Produzenten Guido Knopp tauchte er kurz bei einer Begehung des mutmaßlichen Atomtestgeländes mit einem Kamerateam des ZDF und einem Kernphysiker auf. Allerdings war nur sein rechter Fuß zu sehen.
Der Presse misstraut Mehner tief, seit er in einer Fernsehsendung über Verschwörungstheorien zur Tsunami-Katastrophe ins Umfeld der Rechten gerückt wurde. Doch wer von Wahnsinn funkelnde Augen erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen öffnet die Tür ein Mann mit Halbglatze und leicht ergrautem Bart, der sehr höflich, fast schüchtern wirkt.
Über die Treppe ins Untergeschoss gelangt man in sein Reich: ein Büroraum, voll gestopft mit Papierstapeln, Schreibtischen, Computern, Leitz-Ordnern und mehreren Kopiergeräten. An den Wänden Regale, in denen Bücher mit Titeln wie „Das schwarze Reich – Geheimgesellschaften“ oder „Geheimnisse um Raketen“ stehen.
Oft hält Mehner beim Sprechen kurz inne, wirft einen Blick in die Ferne und sagt: „Ich will nicht zu viel sagen.“ Er liebt es, wenn er seine Zuhörer im Glauben lässt, dass er viele Dinge weiß, die er noch nicht sagen kann oder darf. Seine Bücher haben Titel wie „Die Atombombe und das Dritte Reich“, „Das Geheimnis der deutschen Atombombe“ oder „Hitler und die Bombe“. Und sind geschrieben wie ein Fortsetzungsroman: Jedes Buch verspricht ein neues Beweisstück, dem er einen klangvollen Namen gibt: „Der Lachner-Bericht“. Die „Rittermann-Briefe“ oder das „Wachsenburg-Protokoll“. Viele seiner Zeugen sind anonym. Er begründet das mit militärischer Geheimhaltung – oder sagt, sie hätten der SS einen Eid geleistet und fürchteten noch heute um ihr Leben. Ob diese Todesgefahr noch relevant sei, wisse er nicht, aber er habe Verträge unterschrieben, die ihn verpflichten, die Namen erst nach deren Tod zu veröffentlichen. Auf die Szene der Schatzsucher wirken solche Sätze wie Heroin.
Es ist schwer zu erraten, was Mehner antreibt. Sein Gesicht ist nicht leicht zu lesen. Er erhebt nie die Stimme. Spricht ruhig, fast monoton. Gestikuliert nicht, hat die Beine dabei übereinander geschlagen und die Hände ineinander gelegt. Wünscht er sich nicht, als Historiker anerkannt zu werden? „Das ist mir wurscht“, sagt er. Die Bedingungen, die die Geschichtswissenschaft diktiere, um als seriös angesehen zu werden, könne er nicht akzeptieren. „Ich bin kein Historiker und will auch keiner sein. Ich will sagen, was ich denke.“ Nur manchmal merkt man seine Anspannung, wenn er unmerklich die Augenbrauen zusammenzieht. „Man braucht ein dickes Fell, wenn man Sachen sagt, die dem Zeitgeist entgegenstehen“, sagt er dann. „Und einen guten Anwalt. Ich habe beides.“
„Der verkauft dem Papst ein Doppelbett“, sagt Peter Schmidt, sein härtester Kritiker. Er gründete noch vor vier Jahren mit Mehner und anderen den Jonastalverein, der sich mit der Geschichte der Region beschäftigt. Dann kam es zu Spannungen – Mehner trat aus. „Geschichte erzählen statt Geschichten erzählen“ ist das neue Mantra des Vereins. Ein brillanter Rhetoriker sei Mehner, so Schmidt: Das Buch von Karlsch nennt er „200 Seiten solide Arbeit, danach die gleichen Quellen wie Mehner“.
Schmidt wirft Mehner vor, er würde mit immer neuen Spekulationen versuchen, mehr Bücher zu verkaufen. Und Tickets für Bustouren mit seiner „Agentur Pegasus“. Bei diesen Trips führt Mehner seine Gäste durch das Jonastal, in dem die Nazis mysteriöse Stollen in den Muschelkalk treiben ließen, über eine Wiese, unter der sich eine Abschussrampe für Interkontinentalraketen befunden haben soll. Schmidts Vorwurf sei „Blödsinn“, entgegnet Mehner, die Leute würden sich völlig falsche Vorstellungen davon machen, was er mit seinen Büchern einnehme. Sein Geld verdiene er vor allem als Lektor und Berater für den Rottenburger Kopp-Verlag, der neben seinen Büchern auch „Wie Sie Ihren Arzt davon abhalten, Sie umzubringen“ und „Macht und Geheimnis der Illuminaten“ herausbringt.
Karlsch hat für Mehner nur noch die Fußnote 25 des Vorworts übrig. „Selbst einfachste Regeln der Quellenkritik“ beherrsche Mehner nicht, „was zwangsläufig zu Übertreibungen und Fehlschlüssen führt.“ Offensichtlich fürchtet er, dass seine Glaubwürdigkeit leiden könnte, wenn er mit Mehner in Verbindung gebracht wird. Wenn die Kritik Mehner wehtut, dann zeigt er es nicht. Karlsch wolle ihn auf das Abstellgleis der Verschwörungstheoretiker und Hobbyforscher drängen, sagt er nur. Und gibt sich geheimnisvoll: „Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Wenn ich berichten würde, was ich weiß, würde Karlsch eine Bauchlandung machen. Es gibt wichtige Leute aus der Zeit, die lachen über sein Buch.“
Dabei war der Ton zwischen den beiden mal weniger frostig. Als Mehner im Mai 2001 sein erstes Buch auf den Markt brachte, nahm Karlschs Mitstreiter, der TV-Journalist Heiko Petermann, Kontakt zu Mehner auf. Er brachte Karlsch und Mehner zusammen. „Ihre Stärke ist die Recherche vor Ort“, schrieb Karlsch an Mehner im Februar 2002. „Da kann Ihnen niemand so schnell das Wasser reichen.“ In einem Schreiben Anfang 2003 bittet er ihn um Hinweise auf Mitarbeiter des SS-Mannes Kammler in Thüringen und fordert Mehner auf, Tipps, Kritik und Hinweise zu seinem Kapitel über Kammler beizusteuern.
Karlsch adoptierte die Quellen aus Mehners Büchern, die er für glaubwürdig befand, und machte sie zu den Pfeilern seiner Beweisführung für eine Nuklearexplosion. Zum einen sind das die Aussagen einer Zeugin, die von der Wachsenburg aus einen Atompilz gesehen haben will, und zum anderen die Protokolle zweier Stasi-Vernehmungen aus den 60er Jahren: vom Klempner Rundnagel, der berichtet, ein Beteiligter des Forschungsprojekts habe von einer Bombe mit unglaublicher Wirkung erzählt. Und von Heinz Wachsmut, der angibt, beim Beseitigen verkohlter Leichen geholfen zu haben.
So haben es Mehners Thesen in die hohen Hallen der Wissenschaft geschafft – nur sein Name nicht. Doch das soll sich ändern. „Wir haben was in petto“, sagt er. Er zeigt ein Stück Papier, auf dem sich rote, gelbe und violette Quadrate zu Schichten anordnen. Die Messergebnisse eines neuartigen Boden-Radars. Zwischen den Schichten, ab etwa 30 Meter Tiefe, zeichnen sich zwei weiße Rechtecke ab: Stollen, sagt Mehner. Zweistöckig, sieben bis zehn Meter hoch, 150 Meter lang. „Ein Experte, dem wir die Radaraufnahmen vorlegten, hatte so ein nervöses Zucken im Auge.“ Sobald es einen Sponsor gibt, sollen Bohrungen stattfinden. Wo, will er nicht sagen. Eins sei sicher: „Wir werden zeigen, dass sich die Hobbyforscher nicht hinter den Historikern verstecken müssen.“ Doch es werde noch viele Jahre dauern, bis die Wahrheit ans Licht komme. Aber er will nicht zu viel sagen.