Gotha: „Ich opfere mich für die Stadt“ – vom 04.04.2005
Quelle: Thüringer Landeszeitung – Lokalteil Gotha am 04.04.2005
„Ich opfere mich für die Stadt“
Gotha. (tlz) Am Montag gedenkt die Stadt Gotha während einer Gedenkveranstaltung des 60. Jahrestages des Kriegsendes in Gotha. Dass die Stadt am 4. April 1945 um 9 Uhr „ohne Widerstand den Streitkräften der Vereinigten Staaten von Nordamerika bedingungslos übergeben“ werden konnte, ist bekanntlich dem mutigen Handeln des damaligen Kampfkommandanten des festen Platzes Gotha Oberstleutnant Josef Ritter von Gadolla zu danken, der diese Heldentat mit dem Leben bezahlen musste.
Zum Zeitpunkt seiner Hinrichtung findet deshalb am 5. April um 7 Uhr in der Schlosskirche ein ökumenischer Gedenkgottesdienst und anschließend um 8 Uhr eine Kranzniederlegung an der Gedenktafel im Schlosshof statt. Diese war am 4. April 1995 im Anschluss an den Festakt „50 Jahre Kriegsende in Gotha – Dank den Rettern der Stadt“ feierlich enthüllt worden.
Die Vorbereitung dieses Festaktes brachte damals eine Lawine ins Rollen, die letztendlich zur Rehabilitierung Gadollas führte, die am 30. Dezember 1997 durch das Oberlandesgericht Jena erfolgte.
Angefangen hatte alles mit einer TLZ-Artikelserie, die im Vorfeld des Gadolla-Geburtstages am 14. Januar 1995 begann. Die Suche nach Zeitzeugen blieb nicht ergebnislos und somit ergab sich Stück für Stück ein Gesamtbild der damaligen dramatischen Ereignisse.
Im österreichischen Graz konnte sogar eine Nichte Gadollas ausfindig gemacht werden. Helma-Doris Leinich und ihre Familie waren deshalb als Ehrengäste des Festaktes angereist. Weitere Gäste waren der Thüringische Ministerpräsident, die Gesandte von Großbritannien sowie die Generalkonsulin der USA.
Seitdem sind zehn Jahre vergangen und im Vorfeld der diesjährigen Festveranstaltung soll deshalb noch einmal das Leben und Wirken des Retters der Stadt Gotha dargestellt und gewürdigt werden.
Am 14. Januar 1897 wurde Josef Felix Clemens als viertes Kind des Rittmeisters Klemens von Gadolla (1847-1919) in Graz geboren. Eine militärische Laufbahn schien ihm vorbestimmt und so besuchte er ab 1913 eine Infanterie-Kadettenschule.
Als Kommandeur einer Pionierkompanie wurde er im Ersten Weltkrieg schwer verwundet, ein Bein war seitdem steif geblieben.
Nach der Annexion Österreichs wurde der nur bedingt Diensttaugliche 1938 in die Wehrmacht übernommen. Über Ingolstadt führte ihn sein Dienstweg nach Marktredwitz, wo er seit Ende 1938 als Sachbearbeiter beim dortigen Wehrbezirkskommando arbeitete.
1943 wurde Gadolla nach Gotha versetzt. Als Kommandeur des Wehrmeldeamtes hatte er sein Dienstzimmer in der Bürgeraue-Kaserne. Seine Gattin Alma (1906-1969), die er 1924 geheiratet hatte, und die einzige Tochter Ingeborg (1926-1999) blieben weiterhin in Marktredwitz wohnen und weilten nur besuchsweise in Gotha. Oberstleutnant von Gadolla wohnte bei der Familie Kleinsteuber in die Freundstraße 7.
Als gläubiger Katholik besuchte er regelmäßig die nahe gelegene St. Bonifatiuskirche in der Moßlerstraße. Schnell entwickelten sich freundschaftliche Beziehungen zu dem damaligen Pfarrer Josef Redemann und Kurt Döbler. Aber auch seine Untergebenen im Wehrmeldeamt konnten nur Gutes über ihren Chef berichten.
Laut Aussage des damals dienstverpflichteten Zivilangestellten Fritz Donau war Gadolla „ein ruhiger, bescheidener und genügsamer Mensch, liebenswürdig, offen und ehrlich. Er besaß einen guten Charakter, war stets hilfsbereit und seinen Untergebenen ein humaner Vorgesetzter. Der österreichische Offizier arbeitete in durchaus kameradschaftlicher Verbundenheit mit seiner Belegschaft. Auch außerdienstlich war er uns ein guter Freund.“
So vergingen anderthalb relativ ruhige Jahre. Der fortschreitende Kriegsverlauf und die immer näher rückenden Fronten bestätigten jedoch schon bald Gadollas Vorahnungen. Anfang 1945 wurde dann plötzlich das Wehrbezirkskommando Gotha nach Mühlhausen verlegt.
Automatisch rückte damit das Wehrmeldeamt Gotha mit seinem Leiter an die erste Stelle. Gadolla wurde dadurch am 1. Februar 1945 als Standortältester das militärische Oberhaupt Gothas. In Erfurt wurde er als „Kampfkommandant des festen Platzes Gotha“ verpflichtet.
Gegenüber Vertrauten ließ Gadolla jedoch durchblicken, dass er eine Verteidigung Gothas für sinnlos halte und den Geheimbefehl Hitlers zum totalen Widerstand nicht befolgen werde. Genauso geschah es. Als am 3. April 1945 amerikanische Einheiten bereits am Krahnberg Stellung bezogen hatten und deshalb um 10.10 Uhr Feindalarm gegeben wurde, entschloss sich der Stab des Kampfkommandanten, dem auch Oberbürgermeister Dr. Fritz Schmidt, Kreisleiter Wilhelm Busch sowie der SS-Obergruppenführer Paul Hennicke angehörten, zum „kampfweisen Absetzen“ und damit zur kampflosen Übergabe der Stadt.
Gadolla erklärte, dass er die Stadt persönlich dem Feind übergeben wolle und sich somit für die Stadt opfere. Nachdem die Nazigrößen gegen 16 Uhr Gotha in östlicher Richtung verlassen hatten, ließ Gadolla weiße Fahnen auf Schloss und Rathaus hissen, schickte den Volkssturm nach Hause und fuhr mit dem Stadtkämmerer Georg-Heinrich Sandrock feindwärts. Die Amerikaner hatten inzwischen das in der Arnoldischule untergebrachte Lazarett besetzt. Jedoch bereits am heutigen Bertha-von-Suttner-Platz wurde die Fahrt von SS-Leuten abgebrochen.
Nach 19 Uhr erfolgte schließlich mit dem Stadtbaurat Adolf Müller-Kirchenbauer die zweite Parlamentärfahrt, die bekanntlich in Boilstädt vor dem „Gasthaus zum Wiesengrund“ von fanatischen und alkoholisierten Wehrmachtsangehörigen abgebrochen wurde. Die beiden Parlamentäre wurden verhaftet und nach Weimar transportiert.
Während dort Gadolla seiner Verurteilung zum Tode gefasst entgegen sah, konnte in Gotha dank seiner Vorarbeit die „Übergabeerklärung“ unterschrieben werden. Ob dadurch wirklich eine drohende Bombardierung Gothas noch hatte abgewendet werden können, sei dahin gestellt. Wozu jedoch die amerikanische Artillerie im Verteidigungsfall in der Lage gewesen wäre, hat das Beispiel von Crawinkel gezeigt.
Während also in Gotha der Zweite Weltkrieg am 4. April 1945 zu Ende war, wurde in Weimar am darauf folgenden Tag um 7 Uhr das Todesurteil an dem Retter der Stadt Gotha vollstreckt. Gadollas letzte Worte waren: „Damit Gotha leben kann, muss ich sterben!“
Diese sind seit 1995 auf der Gedenktafel im Schlosshof verewigt. Der Text der darunter angebrachten Erläuterungstafel entspricht jedoch nicht der historischen Wahrheit und sollte deshalb unbedingt abgeändert werden.
01.04.2005 Von Matthias Wenzel