Der Waggon von Compiègne – Erinnerung in Crawinkel – vom 10.06.2005

Quelle: Thüringer Waldbote am 10.06.2005

Der Waggon von Compiègne

Crawinkel/Wölfis: Am 11. November 1918 endete mit den Waffenstillstandsverhandlungen im Salonwagen No. 2419 D im Wald von Compiègne der 1. Weltkrieg. Die Waffenstillstandsbedingungen des Versailler Vertrages waren neben dem durch diesen mörderischen Krieg verursachten Elend bestimmend für die weitere politische Entwicklung Europas. Der Eisenbahnwaggon war danach gleichzeitig Symbol für den Sieg auf der einen und das Symbol für die Niederlage und so genannte Schmach auf der anderen Seite zweier europäischer Nachbarn. Am 21. Juni 1940 mussten Regierungsvertreter Frankreichs im gleichen Eisenbahnwaggon die erneuten, dieses Mal entgegengesetzten Waffenstillstandsbedingungen des deutschen Reiches in Empfang nehmen. Der Waggon wurde danach als Kriegsbeute nach Berlin verbracht und ging am Ende des 2. Weltkrieges als eine der wichtigsten Siegestrophäen auf seine letzte Fahrt. Sie endete im Raum Thüringen, der vom nationalsozialistischen Regime als ein letztmögliches Rückzugsgebiet vor den alliierten Armeen angedacht war.

Am 07. Mai 1945 unterzeichnete Generaloberst Jodl die endgültige Kapitulation Deutschlands im 2. Weltkrieg. Das offizielle Ende des Krieges folgte in Europa einen Tag später. Anlässlich dieses Jahrestages der Befreiung Deutschlands vom Joch des Nationalsozialismus wollten wir besonders an die Ereignisse erinnern, die mehr als 50 Millionen Menschen mit dem Leben bezahlen mussten. In diesem Zusammenhang möchten die Mitglieder des Jonastalvereins, unterstützt von Geschichtsinteressierten aus ganz Thüringen, bekräftigen, dass nie wieder ein Krieg von deutschem Boden ausgehen darf. Auch dafür hatten wir uns unter anderem am 07.05.2005 am Bahnhof Crawinkel versammelt. Weiterer Anlass war die Zerstörung des s. g. „Waggons von Compiègne“ vor 60 Jahren und die Eröffnung einer Sonderausstellung des Vereins über die wechselnde Geschichte des Waggons im Dokumentationszentrum Jonastal in Wölfis an diesem Tag. Am 09.05. erschienen daraufhin im Ilmkreis in der Thüringer Allgemeinen ein Artikel unter der Überschrift „(Bahn-)Station der Geschichte“ sowie 2 Tage später der anschließende Artikel „Das Abstellgleis im Wald“. Da im Kreis Gotha leider keine Berichterstattung erfolgte, möchte ich an dieser Stelle die beiden Artikel kurz zusammenfassen:

Der Jonastalverein hatte am Samstag eingeladen, auf besondere Weise Kriegsende und Befreiung vom Nationalsozialismus vor 60 Jahren zu gedenken. An – wie es der Verein selbst sieht – eine Station zumindest europäischer Geschichte. Rund 50 Leute hatten sich an der alten Kopframpe des Crawinkler Bahnhofs eingefunden, scharten sich um ein Luftbild aus dem Juli 1945. Damals, so ist zu erkennen, lag ein Gleis am anderen. „Da führte die Strecke ins Jonastal und da stand der Waggon“, zeigt einer der älteren Männer auf einen für den normalen Betrachter kaum definierbaren Punkt. Doch er hat ihn gesehen – den berühmten Salonwagen. Die Erinnerung an die Schrecken des Krieges, sei der beste Schutz des Friedens, knüpfte Stefan Schambach, der Bürgermeister von Crawinkel an. Der Wagen von Compiègne sei mittlerweile auch ein Symbol dafür, wie aus Feinden Freunde werden können. Die Eröffnung der Sonderausstellung in Wölfis nutzte Ilmkreis-Landrat Lutz-Rainer Senglaub zur Übergabe eines zweckgebundenen Lottomittelbescheides (2000 Euro) an den Verein.

„Die Hauptsache war da drüben“, zeigt ein älterer Herr auf ein Waldstück hinter dem Gleis. Gleichaltrige nicken. Damals, vor 60 Jahren, als sie – wie man heute zu sagen pflegt – Teenager waren. Dort, wo sich die „Hauptsache befand“, deckt die Natur die Spuren der Vergangenheit, wacht jetzt die Naturschutzeule, wie auf einem Schild zu sehen. 1945, in den letzten Kriegswochen und -tagen, standen auf einem halben Dutzend Gleise Güterwagen, herrschte auf der Strecke nach Ohrdruf – Gotha bis kurz ultimo Hochbetrieb. Auch ins Jonastal führte eine Strecke. Eine andere in den Wald. Die Schienen sind längst verschwunden, aber ein Schotterweg zeugt noch von der Existenz des Gleises, auf dem der vielleicht geschichtsträchtigste Eisenbahnwaggon der Welt abgestellt war. Zuvor wurde der Waggon aus Berlin weggeschafft und kam über Sperenberg, Ruhla, Gotha und Ohrdruf schließlich nach Crawinkel in besagtes Waldstück. Offenbar wollten die Nazis das Beutestück im buchstäblichen Sinne aus der Schusslinie bringen, weil der Bahnhof im Zielgebiet amerikanische Tiefflieger lag, vermutet Heinz Wegerich, damals Fahrdienstleiter.

Das könnte so Ende März/Anfang April gewesen sein, meint Alfred Ballenberger. Er ist sich sicher, dass es der Wagen von Compiègne gewesen sei, den kannte er aus dem Geschichtsunterricht. Neugierig hätte er sich damals mit Freunden dem Wagen genähert, sie seien aber von der SS weggejagt worden und hätten sich danach auch nicht wieder hingetraut. Im Gegensatz zum Wölfiser Kurt Zöllner. Er sei im Wagen gewesen, auch wenn er sich nur mühevoll auf die hohen Stufen ziehen konnte, einen Bahnsteig gab es ja da nicht. Auch an die Einrichtung erinnere er sich noch. An den Fenstern hätten s ich Vorhänge aus einer Art Brokatstoff befunden, mit goldfarbenen Kordeln festgemacht. Die Wände alles edles Holz. Nach der Besichtigung hätte er sich schnurstracks auf den Heimweg gemacht. In der Wölfiser Waldstraße angekommen, hätte es plötzlich in seinem Rücken „einen Schlag getan“. Eine dunkle Rauchsäule sei dort aufgestiegen, wo der Wagen gestanden hätte. Am nächsten Tag war er noch einmal da, aber da sei nur noch wenig von dem Wagen übrig gewesen. Ein Haufen Asche. Doch einige Bestandteile des Wagens tauchten später wieder auf. Einwohner der umliegenden Gemeinden hatte verwertbar Erscheinendes requiriert. Mehrere vom Waggon stammende Stücke konnten 1992 an die Gedenkstätte in Compiègne übergeben werden.

Dass der Wagen gesprengt wurde, wie ursprünglich vermutet, bezweifelt Gerd Kratsch, ehemaliger Schulleiter in Ohrdruf. Nach seinen Recherchen hält er einen Unfall für wahrscheinlicher. Total verbrannt ist der Wagen nicht. Das Fahrgestell wurde Ende 1945 nach Gotha geschleppt und diente später als innerbetriebliches Transportmittel. Zuletzt als Werkswagen Nr. 17 im Weichenwerk. Erst Mitte der 80er brach der wegen Überlastung zusammen und wurde verschrottet.

Der Jonastalverein, der sich auch diesem geschichtlichen Kapitel der Region widmet, will im Herbst gemeinsam mit Geschichtsinteressierten eine umfassende Dokumentation zur Geschichte des Waggons herausbringen. Besonders freuten wir uns darüber, dass Frau Erika Liebetrau aus Ruhla ehemalige Gegenstände aus dem Waggon für die Sonderausstellung im Dokumentationszentrum Jonastal zur Verfügung stellte. Dazu gehören zwei Kleiderbügel, eine Wasserkanne und eine Kinderweste, die ihre Mutter aus einem Vorhang geschneidert hatte. Die Sachen hatte ihr Vater mit nach Hause gebracht, als der Waggon auf dem Ruhlaer Bahnhof abgestellt gewesen war. Weiterhin erhielt der Jonastalverein von Herrn Schneider aus Wangenheim alte Postkarten von der Gedenkstätte in Compiègne, die sein Vater als Andenken von einer Reise einmal mitbrachte.

Ich bedanke mich im Namen der Mitglieder des Jonastalvereins bei Frau Liebetrau für die Dauerleihgaben, bei Herrn Dr. Senglaub für die finanzielle Unterstützung sowie bei Herrn Bürgermeister Schambach, Herrn Gerd Kratsch und besonders bei Herrn Dankmar Leffler und allen Unterstützenden des Vereinsprojektes. Gemeinsames Ziel ist es, an die Zerstörung des berühmtesten Eisenbahnwaggons der Welt im Frühjahr 1945 dauerhaft in Crawinkel zu erinnern. Alle auszugsweise aufgeführten Artikel und mehr finden Sie auf der Internetplattform des Vereins über www.jonastalverein.de – die Sonderausstellung ist nur noch am 26.06. in Wölfis zu besichtigen.

Klaus-Peter Schambach

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