Bitterer Brunnen der Erinnerung – vom 13.07.2006
Quelle: Thüringer Landeszeitung am 13.07.06
Bitterer Brunnen der Erinnerung
Wien/Weimar. (tlz) „Ich bin unterwegs, mein Gepäck ist leicht.“ Der letzte Satz aus der Autobiografie steht für sein ganzes Leben: Der Schriftsteller Fred Wander, der – wie jetzt erst gemeldet – am Montag im Alter von 89 Jahren in seiner Geburtsstadt gestorben ist, war ein Mensch der Wanderschaft. Seine wichtigsten Stationen heißen Wien, Paris, Auschwitz, Buchenwald, Leipzig und Kleinmachnow bei Berlin. Sein richtiger Name war Fritz Rosenblatt – erst 1950, fünf Jahre nach der Befreiung aus dem Lager Buchenwald, legte er sich das Pseudonym Fred Wander zu, in Anlehnung an das Motiv der Wanderschaft.
Als Jude musste er die Einsamkeit von Flucht und Emigration sowie die Hölle mehrerer deutscher Konzentrationslager erleiden; seine Eltern und seine Schwester wurden in Auschwitz umgebracht. Diese Erfahrungen haben ihn geprägt und bis ins Alter gequält; als Schriftsteller konnte er sich nur zeitweilig davon befreien, indem er seine Erlebnisse zu Papier brachte. Als Autor der Erinnerungsbücher „Der siebente Brunnen“ (1971) über seine KZ-Erfahrungen und „Ein Zimmer in Paris“ (1976) über sein Exilland Frankreich schrieb sich Wander in die Reihe der großen Europäer wie Jorge Semprun, Romain Rolland und Primo Levi, die eine kollektive Chronik des von Diktatur, Krieg, Völkermord und Vertreibung gezeichneten 20. Jahrhunderts verfasst haben.
Schon in jungen Jahren wandert der Sohn eines jüdischen Viehhändlers durch Europa und hält sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. 1938 emigriert Fritz Rosenblatt vor den Nationalsozialisten nach Frankreich, wird interniert, flieht in die Schweiz, wird an die Behörden der Vichy-Regierung ausgeliefert und von Drancy nach Auschwitz deportiert. Am 7. März 1945 gelangt er mit einem Transport von Groß-Rosen nach Buchenwald und muss bis zur Evakuierung Anfang April 1945 im Außenlager S III Zwangsarbeit leisten. „… für alle Zeit“, schreibt Wander im „Siebenten Brunnen“, „wird der Duft des Waldes mir mit dem Brandgeruch vermischt sein und dem Bild der giftig-weißen Rauchpfoten auf den nackten Leibern der Toten von Crawinkel. […] Daran erinnert mich WALD. (Thüringer Wald, deine Wurzeln nähren sich von ihrer Asche!)“
Nach der Befreiung Buchenwalds arbeitet Wander in Wien als Zeichner, Fotograf und Journalist. 1955 gehört er zusammen mit Erich Loest und Ralph Giordano zum ersten Jahrgang des Literaturinstituts „Johannes R. Becher“ in Leipzig, übersiedelt 1958 mit seiner Frau Maxie Wander in die DDR und wohnt in der Villensiedlung Kleinmachnow. Die produktivste Phase seines Lebens beginnt: Fred Wander schreibt Kinderbücher, Erzählungen und Romane und wird mit dem Heinrich-Mann- und dem Theodor-Fontane-Preis geehrt.
1968 verunglückt die Tochter. 1976 erkrankt seine Frau an Krebs. In seinen Erinnerungen spart Fred Wander diese schlimme Phase seines Lebens weitgehend aus – „Alles in mir verschließt sich“ – und zitiert statt dessen aus Maxies Tagebüchern und Briefen, die er 1980 in beiden Teilen Deutschlands herausgibt und die, wie zuvor bereits Maxie Wanders Porträts von DDR-Frauen „Guten Morgen, du Schöne“, jeweils hohe Auflagen erzielen. Und abermals ist er auf der Flucht – diesmal vor der Erinnerung an die Familientragödie.
1983 verlässt Fred Wander die DDR wieder und kehrt in seine alte Heimat zurück. Er tritt aus der Kommunistischen Partei Österreichs aus, der er Jahrzehnte lang angehört hat. 1991 erscheint sein Buch „Hotel Baalbek“ und fünf Jahre später die Autobiografie. „Auf dem Hintergrund meines Bewußtseins spiegeln sich die Bilder der Wanderschaft und des Schreckens, wie auf einer Leinwand“, heißt es dort. „Im Traum ziehe ich immer noch untröstlich durch fremde, endlose Straßen.“ Fred Wander, der ahasverische Wanderer und Bewahrer, hat mit dem Tod seine Ruhe gefunden.
12.07.2006 Von Frank Quilitzsch