TrÜbPl Ohrdruf – Legendenumwobener Schießplatz verliert… Selbständigkeit – vom 24.11.2006
Quelle: Freies Wort am 24.11.2006
23.11.2006
TRUPPENÜBUNGSPLATZ OHRDRUF Legendenumwobener Schießplatz verliert im Zuge der Umgliederung der Bundeswehr Selbstständigkeit
Keine Spur vom Bernsteinzimmer
100 Jahre zählt die wechselvolle Geschichte des Truppenübungsplatzes Ohrdruf. Nun soll das 4600 Hektar große Gelände im Zuge der Bundeswehrumgliederung ab Juli 2007 auf zwei Schulschießbahnen und Betrieb mit Übungsmunition reduziert werden. Landrat Benno Kaufhold lud Journalisten zu einer Exkursion nach Ohrdruf ein, da der Übungsplatz zu großen Teilen auch im Ilmkreis liegt.
OHRDRUF – ,,Wir sind ein Servicebetrieb der Bundeswehr‘‘, erklärt Andreas König gleich zur Einführung seinen Gästen. Der gebürtige Westfale ist seit der Wende mit ehemaliger NVA- und Russenkriegstechnik bestens vertraut. Er habe mal in einer anderen Armee gedient, sagt er scherzhaft und spielt damit auf die Zeiten des Kalten Krieges an, als sich die beiden Lager noch feindlich gegenüber standen. ,,Wir haben den Auftrag, Soldaten die sich auf Auslandsaufträge vorbereiten auszubilden und für ihren Einsatz fit zu machen‘‘, stellt König seine heutige Aufgabe dar. Dafür sei der aus dem vorigen Jahrhundert stammende Truppenübungsplatz genau richtig. Zwar rollten keine Panzer mehr, ansonsten könne die Truppe für jedes Einsatzgebiet hier unter realen Bedingungen üben. Noch ist‘s möglich.
Veränderungen
Bei der Bundeswehr hat sich viel verändert. Am Eingang verlangt kein Soldat nach den Ausweisen, das Objekt wird heute von einem privaten Wachdienst bewacht. ,,Ab Freitagnachmittag haben die Soldaten frei. Jede Überstunde muss in Freizeit abgegolten werden‘‘, sagt König. Schmunzeln in der Runde, wer da an seinen eigenen Wehrdienst denkt. Die Zeiten haben sich geändert. Gott sei dank. Während eine junge Dame vom ,,Rückwärtigen Dienst‘‘ Kaffee eingießt, erinnert der Kommandeur an die geschichtsträchtige Zeit des 4600 Hektar großen Platzes. Die längste Ausdehnung misst zwölf Kilometer, die ,,schmale Seite‘‘ nur sechs. Bei 180 Meter Höhenunterschied sei Winterausbildung möglich.
Kaisers Zeiten
1871 fanden auf diesem Gelände die ersten Manöver statt. 1906 wurde der Übungsplatz eingerichtet, in den Jahren bis 1912 wuchs eine ganze Stadt heran. Zu Kaisers Zeiten gab es mehr Soldaten als Einwohner. 17.000 Kriegsgefangene des Ersten Weltkrieges mussten hier kampieren. Ein Friedhof erinnert heute noch an die Soldaten, die das rauhe Klima und die Behandlung nicht überlebten. 1933 übernahm die Wehrmacht das Sagen. Hier wurden die ersten Kampfpanzer getestet.
KZ-Außenlager
Das traurigste Kapitel begann im Herbst 1944 mit der Übernahme durch die SS. In wenigen Wochen wurde der Übungsplatz zum Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Das Jonastal wurde ausgehöhlt, in den Jahren der Naziherrschaft entstanden die Legenden um das versteckte Bernsteinzimmer und um die Zündung der ersten Atombombe.
Die 4. Panzerdivision der 6. US Armee unter General Patton machte dem braunen Spuk 1945 ein Ende. Über 5000 Tote gehören zur traurigen Bilanz der kurzen Zeit als Konzentrationslager. Ein Massengrab mit Denkmal in der Gemarkung Stotternhain erinnert daran, neben dem französischen Soldatenfriedhof und dem kleinen Massengrab.
1947 übernahm die sowjetische Armee das Gelände. 25.000 Soldaten wurden stationiert. Nach der Wende wurde fast alles abgerissen, die Bundeswehr übernahm den Truppenübungsplatz am 1. April 1994.
Geschichte lebendig
Wenn Andreas König Geschichte und Geschichtchen erzählt, so verfolgen sie ihn sprichwörtlich auf Schritt und Tritt. Rund 180 Kilometer Straßen und Wege gibt es auf dem Truppenübungsplatz. Und jede Menge Munitionsreste. ,,Bis in eine Tiefe von 50 Zentimeter wurde beräumt. Teile können nicht betreten werden: ,,Die Gefahr in die Luft zu fliegen ist zu groß.‘‘
Im Kleinbus geht‘s übers Feld. König zeigt, wo er mal 700 Paar von den Russen vergrabene Stiefel gefunden hat. Da gab es auch ein 30 Meter tiefes Loch, das als Müllschlucker diente, Blindgänger, Munition ohne Ende und unendliche Schrottberge. Rund 40 Millionen Euro, so König, wurden bislang in die Beräumung seitens des Bundes gesteckt.
Auf bester Bitumenstraße geht es zum Franzosenfriedhof. Linker Hand steht ein Denkmal der Sowjetarmee, das an alte Zeiten erinnert. Für Andreas König ist es ein Zeitzeuge, der erhalten und gepflegt wird. Für den Soldaten König sind auch russische Soldatenopfer ehrenswert. ,,Ein russischer General hat uns mal besucht und sich gewundert, dass die Bundeswehr solch ein Denkmal pflegt‘‘, erinnert sich Andreas König. Soldatenehre.
Derweil fahren bunte Minifahrzeuge über den Franzosenfriedhof. Die ,,grüne Truppe‘‘ übt hier nicht, sie verrichtet ihre Arbeit. Mit einem Laubsauger wird der Friedhof von den Gärtnern vom Laub befreit. Vielleicht auch ein Novum. Schautafeln informieren dienstliche wie private Besucher über die Geschichte dieses Friedhofes.
Es geht weiter. König erzählt, dass über 1000 Soldaten gleichzeitig üben können. Auf einer Höhe sehen wir einen weißen Reisebus, der Soldaten zu ihrer Übungsbahn transportiert. Ja, bei der Bundeswehr hat sich viel verändert. Aus einem Umkreis von 100 Kilometern kommen die Soldaten zur Ausbildung.
Zelten nicht erlaubt
Zwischen Bäumen und Hügeln gibt es so manche plane Fläche. Schilder mit der Aufschrift ,,Biwak‘‘ weisen der Truppe den Weg, wo ein Zelt aufgebaut werden kann. Andere Besucher sollten das Gelände, das durch Sperrschilder gekennzeichnet ist, tunlichst meiden. ,,Früher habe ich die Pilzsammler belehrt‘‘, sagt König. Heute fragt er nur nach dem Weg. Schließlich wolle man die Pilze haben, wenn der Sammler fehl tritt. ,,Sarkasmus zieht mehr als alle Verbote.‘‘ Auch habe in jüngster Zeit das Gelände zum Motocross verführt. ,,Die Leute wissen gar nicht was sie tun‘‘, weist König auf die Gefahren hin. Oben wird geschossen, im Boden liegen Tonnen rostender Munition.
Der Kommandeur kennt sein Gelände wie seine Hosentasche. Was wird aus all dem, wenn hier nur noch auf zwei Bahnen mit Übungsmuniton geschossen wird? Andreas König kann die Frage nicht beantworten. Mit der Umstrukturierung geht er in Pension, ganze 54 Jahre alt. Ein bisschen Wehmut macht sich schon breit.
Das Gelände ist gespickt mit alten Panzerteilen. ,,Teurer Schrott‘‘, sagt König. Viele Teile hat er selbst beschafft, alles dient Übungszwecken. Was daraus wird, ist ungewiss. Zumindest könnte man einige Teile des Geländes als Aussichtspunkt für Touristen nutzen. Der Blick vom 460 Meter hohen Musketierberg auf die Wachsenburg ist phantastisch. Genießen können ihn nur ein Jäger – und die Männer, die hier ihren Dienst schieben.
Mit Sonde unterwegs
Wenig später erregt ein Geländestreifen mit Fähnchen Aufsehen. Eine Parchimer Munitionsbergungsfirma ist bei der Arbeit. Mit der Sonde in der Hand läuft ein junger Mann auf und ab. ,,Bis acht Meter Tiefe kann ich Metall aufspüren‘‘, sagt er. Dabei sei es egal, ob es ein Uniformknopf in zwei Zentimeter Tiefe oder ein Granatenlager bei zwei Meter ist. Ein gefährlicher Job? ,,Klar‘‘, antwortet ein älterer Mann in gefütterter Tarnjacke. ,,Wenn hier was passiert, fliegen zwei Männer in die Luft. Deshalb gehen wir auch so weit auseinander.‘‘ Ahhhh, ja!
Nach der Umstrukturierung wird Ohrdruf zu Wildflecken gehören. Einen Kommandeur wird es nicht mehr geben. Die Bundeswehr muss sparen. Zwei Schulschießbahnen. Bis auf eine kleine Stammbesatzung wird alles abgezogen. Nur die Munitionsbergung wird weitergeführt, vorerst, zwei Millionen kostet das jährlich. Denn eines ist gewiss: Auch wenn der ganze Truppenübungsplatz zum Biotop wird, zivil genutzt werden kann das Gelände nie wider.
So werden die Legenden um ein mögliches Bernsteinzimmer-Versteck oder um Geheimwaffen halten. Das angrenzende Jonastal ist voller Geheimnisse. Immer wieder sind Schatzsucher unterwegs. König: ,,Die flexen schon mal Stahltüren auf und kriechen in die Stollen. Alle lebensmüde.‘‘
Andreas König kennt ,,sein‘‘ Gelände seit Jahren. ,,Da ist nicht ein Hauch Wahrheit dran‘‘, sagt er – und zwinkert mit den Augen. V.PÖHL
Seltener Blick: Vom 460 Meter hohen Musketierberg aus liegt dem Betrachter die Wachsenburg zu Füßen. FOTOS: V.PÖHL
Schrottberge: Verlassene amerikanische Panzer dienen heute noch als Zielobjekte.
Gefährlicher Job: Mit der Sonde wird nach Blindgängern gesucht.
Ein Ehrenmal erinnert an 5000 Tote im Massengrab aus der NS-Zeit.
Kommandeur Peter König geht mit der Umgestaltung in Rente.