TA-SERIE (10): Zum 50. Jahrestag der Befreiung

FOLGE 10: Den nun auch tagsüber erscheinenden angloamerikanischen Fliegerverbänden hatte die deutsche Luftwaffe nichts mehr entgegenzusetzen. Zwar fanden hin und wieder einmal Luftkämpfe, so beispielsweise über Gräfenroda, statt, aber in der Ferne grollten bereits die Abschüsse der amerikanischen Artillerie. Bomben fielen im Bereich vom Neuhaus und dem Großen Teich in Ilmenau, ohne Schaden anzurichten. Anders dagegen in Roda, wo es Tote, Verletzte und Sachschäden gab. Je näher die amerikanische Armee rückte, umso kritischer wurde die Situation der Zivilbevölkerung, die keine Ahnung von den Verlagerungen des OKH und anderer Dienststellen in unsere Region hatte. In Crawinkel, Wölfis, Ohrdruf, Gossel, Espenfeld, Bittstädt, Siegelbach, da waren die ausgemergelten Häftlinge nicht zu übersehen, aber warum sie hier waren, was sie machten, das wußten die wenigsten. Ja, der Kanonendonner aus der Ferne ließ aus Angst vor der Vergeltung doch schon so manchen wenigstens versuchen, den Häftlingen, so weit das möglich war, etwas zuzustecken. Nicht anders war es in den Lagern der Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen. Russische und polnische Mädchen, die in der Porzellanfabrik Graf von Henneberg, russische Jungs, die bei Alt, Eberhardt & Co. im Hammergrund, wo Tragflächen für Flugzeuge gefertigt wurden, arbeiteten, spürten sehr deutlich, wie schnell sich die Lage zu ihren Gunsten veränderte. Flugblätter (unser Foto) gingen von Hand zu Hand, Radio Moskau wurde abgehört. Die Propaganda des Nationalsozialismus indes verstummte nicht. Gauleiter Sauckel rief Anfang April seinen „Volksgenossen“ zu: „All dies, was unser Volk erleidet, erduldet und übersteht, wird Zeugnis ablegen dafür, daß es sich sein Reich verdient hat. Überwinden wir gerade jetzt allen Kleinmut und zwingen wir den Schweinehund, den äußeren wie den inneren, überall nieder, wo er sich zeigt und spürbar macht. Vergessen wir niemals: Ehrlose Haltung bringt nur ehrlosen Frieden, Schmach, Elend und Tod. Wir aber wollen vor unseren Kindern, vor uns selber und vor der ganzen Welt in Ehren bestehen, weiterleben und nicht in Schande vergehen.“ Im Kriegstagebuch des DKW wird da schon realistischer geschrieben: 3.4.: Die 6. SS-Geb.-Div. hat nach dem anfänglichen Befehl zum Durchschlagen den neuen bekommen, sich in dem Waldgebiet zu halten und den Gegner von hinten zu stören. In dem jetzt bedrohten Raum Saalfeld-Rudolstadt verliert die Marine ihr Hauptfertigungsgebiet für die Torpedos. Der OB West verlegt von Ohrdruf nach Blankenburg. (Kriegstagebuch des OKW, Band IV, 2. Halbband)

G. REMDT

Die Artikelserie von Gerhard Remdt, bestehend aus 21 Folgen zum 50. Jahrestag der Befreiung, erschien 1995 in der Thüringer Allgemeinen. Datum bisher nicht genau ermittelbar.

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