Das Abstellgleis im Wald… für den Waggon von Compiègne – vom 11.05.2005
Quelle: Thüringer Allgemeine Ilmkreis am 11.05.2005
Das Abstellgleis im Wald
CRAWINKEL/WÖLFIS (gs). Auf einer Farbskizze ist schon eine Idee für die Gedenkstätte zu sehen. Ein schlichter Gedenkstein, eine Informationstafel und die Achse eines Eisenbahnwaggons auf einem Gleisstück. Erinnerung an einen berühmten französischen Salonwagen im thüringischen Crawinkel.
„Die Hauptsache war da drüben“, zeigt ein älterer Herr auf ein Waldstück hinter dem Gleis. Gleichaltrige nicken. Damals, vor 60 Jahren, als sie – wie man heute zu sagen pflegt – Teenager waren.
Dort, wo sich die „Hauptsache befand“, deckt die Natur die Spuren der Vergangenheit, wacht jetzt die Naturschutzeule, wie auf einem Schild zu sehen. 1945, in den letzten Kriegswochen und -tagen, standen auf einem halben Dutzend Gleise Güterwagen, herrschte auf der Strecke nach Ohrdruf – Gotha bis kurz ultimo Hochbetrieb. Sogar in der Straße verlief ein Gleis. Schienenreste wurden bei der Fahrbahnsanierung Anfang der 90-er gefunden. Auch ins Jonastal führte eine Strecke. Eine andere in den Wald. Teile davon sollen nur zwei Tage gelegen haben, angeblich dort, wo das Gleis die heutige B 88 querte.
Die Schienen sind längst verschwunden, aber ein Schotterweg zeugt noch von der Existenz des Gleises, auf dem der vielleicht geschichtsträchtigste Eisenbahnwaggon der Welt abgestellt war – der einstige Salonwagen des französischen Marschalls Foche, in dem 1918 Vertreter des deutschen Kaisers den Waffenstillstand unterzeichneten. 1940 demütigte Hitler die geschlagenen Franzosen , ließ sie an gleicher Stelle die Kapitulationsurkunde signieren. Dann wurde der Waggon aus dem Wald von Compiègne als Kriegsbeute nach Berlin geschafft und später über Sperenberg, Ruhla, Gotha, Ohrdruf schließlich nach Crawinkel und dann in besagtes Waldstück. Offenbar wollten die Nazis das Beutestück im buchstäblichen Sinne aus der Schusslinie bringen, weil der Bahnhof im Zielgebiet amerikanische Tiefflieger lag, vermutet Heinz Wegerich, damals Fahrdienstleiter.
Das könnte so Ende März /Anfang April gewesen sein, meint Alfred Ballenberger. Er ist sich sicher, dass es der Wagen von Compiègne gewesen sei, den kannte er aus dem Geschichtsunterricht. Neugierig hätte er sich damals mit Freunden dem Wagen genähert, sie seien aber von der SS weg gejagt worden und hätten sich danach auch nicht wieder hingetraut.
Im Gegensatz zum Wölfiser Kurt Zöllner. Er sei im Wagen gewesen, auch wenn er sich nur mühevoll auf die hohen Stufen ziehen konnte, einen Bahnsteig gab es ja da nicht. Auch an die Einrichtung erinnere er sich noch. An den Fenstern hätten sich Vorhänge aus einer Art Brokatstoff befunden, mit goldfarbenen Kordeln festgemacht. Die Wände alles edles Holz. Nach der Besichtigung hätte er sich schurstracks auf den Heimweg gemacht. In der Wölfiser Waldstraße angekommen, hätte es plötzlich in seinem Rücken „einen Schlag getan“. Ein dunkle Rauchsäule sei dort aufgestiegen, wo der Wagen gestanden hätte. Am nächsten Tag war er noch einmal da, aber da sei nur noch wenig von dem Wagen übrig gewesen. Ein Haufen Asche.
Doch einige Bestandteile des Wagens tauchten später wieder auf. Einwohner der umliegenden Gemeinden hatte verwertbar Erscheinendes requiriert. Mehrere vom Waggon stammende Stücke konnten 1992 an die Gedenkstätte in Compiègne übergeben werden.
Dass der Wagen gesprengt wurde, wie ursprünglich vermutet, bezweifelt Gerd Kratsch, ehemaliger Schulleiter in Ohrdruf. Nach seinen Recherchen hält er einen Unfall für wahrscheinlicher.
Total verbrannt ist der Wagen nicht. Das Fahrgestell wurde offenbar schon Mitte 1945 nach Gotha geschleppt und diente als innerbetriebliches Transportmittel. Zuletzt als Werkswagen Nr. 17 im Weichenwerk. Erst Mitte der 80-er brach der wegen Überlastung zusammen und wurde verschrottet.
Der Jonastalverein, der sich auch diesem geschichtlichen Kapitel der Region widmet, will im Herbst eine umfassende Dokumentation zur Geschichte des Waggons herausbringen.
10.05.2005