Das vergessene Lager… bei Espenfeld – vom 26.01.2006
Thüringer Geschichte – Das vergessene Lager
Das Jonastal bei Ohrdruf ist immer wieder gut für Geheimnisse rund um das Dritte Reich. Forscher der Gedenkstätte Buchenwald haben jetzt ein Rätsel um ein kaum bekanntes Lager gelöst.
Quelle: 26.01.2006 -> http://www.mdr.de/thueringen-journal/2430195.html
Der schlammige Acker an der Straße zwischen Espenfeld und Siegelbach hat nichts Auffälliges: Sträucher, Unkraut und Feldsteine prägen das Gelände. Auf der linken Straßenseite steht allerdings ein übergroßer Grabstein. Das ungepflegte Friedhofsgelände ist von Sträuchern und einem niedrigen Zaun umgeben. An der Spitze des Gedenksteines prangt ein sowjetischer Stern. Das Denkmal erinnert an erschossene sowjetische KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene. Etwa einhundert sollen es gewesen sein. Die Häftlinge waren für den Stollenbau im benachbarten Jonastal eingeteilt. Der Ehrenfriedhof wurde Ende der 40er Jahre am Ortsausgang von Espenfeld angelegt.
Die Häftlinge waren Insassen des Lagers Espenfeld. Doch was für ein Lager war das Lager Espenfeld? Bisher war über das Lager, die Größe, die Struktur, die Opfer und die Aufgaben kaum etwas bekannt. Forscher konnten bisher kaum mehr als die Existenz des Lagers bestätigen. Dokumente gibt es kaum. Doch nun sind Historiker der Gedenkstätte Buchen wald in den National Archivs in Washington auf Fotos aus dem Lager Espenfeld gestoßen. Die Bilder wurden im April 1945 von amerikanischen Soldaten gemacht.
Die Fotografen hatten die Aufgabe, die Verbrechen des Dritten Reiches zu dokumentieren. Detailliert fotografieren sie deshalb die Reste des Lagers und die Opfer. Durch die Bilder können die Forscher jetzt erstmals Rückschlüsse auf die Größe des Lagers schließen. Außerdem entdeckten die Forscher in dem amerikanischen Archiv Pläne des Lagers und Geländekarten.
Das Lager Espenfeld hat eine relativ kurze Geschichte. Erst im Januar 1945 wurde es errichtet. Es war nicht das erste Lager in der Gegend. Doch das Lager lag deutlich näher als die anderen am Jonastal. Dort wurden Stollen in den Berg getrieben, um das neue Führerhauptquartier rasch zu errichten. Der tägliche Marschweg zu den Baustellen wurde für die dort eingesetzten KZ-Häftlinge so erheblich verkürzt.
Trotz der Nähe zu der Baustelle hatte das Lager stets nur einen provisorischen Charakter. Innerhalb kürzester Zeit wurde es aus dem Boden gestampft. Lediglich einige feste Baracke wurden errichtet. Die restlichen Unterkünfte bestanden aus großen Mannschaftszelten. Etwa 1.500 Häftlinge waren in dem Lager untergebracht. Unter ihnen befanden sich viele Juden, aber auch desertierte SS-Soldaten. Der „Verschleiß“ dieser Menschen war gewollt, ihre Rückkehr ins Hauptlager nicht erwünscht. Nach der Räumung des KZ Auschwitz kamen viele Häftlinge zusammen mit dem SS-Wachpersonal auch nach Espenfeld.
Als im April 1945 die amerikanischen Soldaten von Westen her in Thüringen vorrückten, wurde auch das Lager Espenfeld evakuiert. Marschunfähige Häftlinge wurden von der SS erschossen. Die anderen Häftlinge wurden in das Hauptlager Buchenwald getrieben. Die Amerikaner stießen bei ihrer Ankunft am 10. April nur noch auf die Reste des kurzlebigen Lagers und die Leichen der Erschossenen. Soldaten aus Spezialeinheiten begannen nun, die Verbrechen zu dokumentieren. Ihr Ziel war es, Beweise für Prozesse gegen die Verantwortlichen zu sammeln. Doch die Bilder verschwanden in den Archiven. Heute sind sie die einzigen Zeugen an ein verschwundenes Lager in Thüringen.