Heller Blitz – Atombombentest Thüringen – Mehner/ Karlsch – vom 04.03.2005

Thüringer Allgemeine am 04.03.2005

Heller Blitz

60 Jahre nach der Befreiung könnte sich ein Gerücht bestätigen: Es gab tatsächlich Atombombentests der Nazis kurz vor Kriegsende in Thüringen. Die Forschungen über dieses dunkle Kapitel der Geschichte werden indes immer schwieriger, weil viele Zeitzeugen verstorben sind und andere noch immer schweigen.

Die Reichsautobahn 4 war zwischen dem 27. Februar und 13. März 1945 gleich mehrere Male zwischen den Anschlussstellen Gotha und Arnstadt in Richtung Osten gesperrt, sie diente als Start- und Landebahn für Flugzeuge der Naziführung aus Berlin. Personenschutzkommandos der SS hatten sich im Schloss Günthersleben einquartiert, im Gasthaus zum Löwen im benachbarten Wechmar gingen Nazigrößen wie Albert Speer ein und aus, Hitler soll da gewesen sein und Eva Braun wohnte in einem Nachbarort.

Der Anlass: Mehrere Tests so genannter Wunderwaffen, darunter zwei Kernwaffenversuche in der Gegend von Röhrensee auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf und der Start einer Interkontinentalrakete in Rudisleben bei Arnstadt. In allen drei Fällen wurde vorher falscher Luftalarm gegeben, damit die Bevölkerung nichts von den Tests mitbekommen sollte. Trotzdem gab es hunderte von Opfern beim ersten Atomwaffentest. Und weithin war der „helle Blitz“ zu sehen.

Gleich mehrere Zeugen, darunter der damalige Wechmarer Pfarrer Harry Anton, haben die Ereignisse von damals zu Papier gebracht, zum Teil notariell beglaubigt. Veröffentlicht hat sie der Jonastal-Forscher Thomas Mehner aus Zella-Mehlis in seinem neuesten Buch „Geheime Reichssache: Thüringen und die deutsche Atombombe“. Das Problem: Viele Zeugen leben nicht mehr, Fälschungen sind also nicht ausgeschlossen. Und von anderen gibt Mehner die Identität nicht preis, vorgeblich auf Wunsch der Informanten, die sich noch immer an einen Eid von damals gebunden fühlen.

Es ist diese Mystik, die seit Jahrzehnten sowohl den Verfechtern als auch den Kritikern der These von der geheimen Atombombe zum Kriegsende in Thüringen gleichermaßen als Argument für ihre Haltung dient. Jetzt allerdings, zum 60. Jahrestag jener letzten Kriegswochen, verdichten sich die Hinweise, dass vieles von dem nicht aus der Luft gegriffen ist.

Am 14. März will die „Deutsche Verlagsanstalt“ in Berlin ein unter strengster Geheimhaltung entstandenes Buch des Wirtschaftshistorikers Rainer Karlsch veröffentlichen: „Hitlers Bombe“. Karlsch will darin nach Verlagsangaben nicht nur den Nachweis von Kernwaffenversuchen zum Ende des zweiten Weltkriegs in Thüringen führen, sondern auch einen Patententwurf für eine Plutoniumbombe präsentieren, den deutsche Physiker schon 1941 formuliert haben sollen. Pünktlich zum Buchstart tritt Karlsch am Freitag übernächster Woche dann gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Österreich und den USA auf einer Tagung der Universität in Wien auf.

Die Thesen von Mehner und Karlsch sind keinesfalls deckungsgleich, aber in einem Punkt stimmen beide überein: Thüringen spielte in den Plänen der Nazis zur Entwicklung von Kernwaffen eine größere Rolle als bisher von der Geschichtsschreibung vermutet. Und die praktische Umsetzung war wesentlich weiter fortgeschritten als bisher bekannt.

Einen neuen Aufmerksamkeitsschub in Thüringen für die Gegend zwischen Arnstadt, Wechmar und Ohrdruf dürfte das neue Buch aus Berlin nicht bringen, er ist längst da. Wo immer Veranstaltungen mit Thomas Mehner stattfinden, sind die Säle übervoll, müssen Interessierte auf Wiederholungstermine hoffen. Denn die Geschichten, die Mehner erzählt, sind so unglaublich, dass sie wahr sein könnten: Da ist die Rede von einem SS-Mann namens Rittermann, der schon damals im Arnstädter Rathaus nie eine schwarze Uniform trug, später von den Amerikanern hofiert, von den Russen mit einem sowjetischen Pass ausgestattet wurde und bis zu seinem Tode unbehelligt lebte.

Von einem Forschungslabor der Nazis tief in den Bergen unter dem Ohrdrufer Truppenübungsplatz wird berichtet, das noch bis in die 60er-Jahre einschließlich des alten Personals gearbeitet haben soll, erst unter Aufsicht der Amerikaner, dann des KGB. Oder eben von jener Interkontinentalrakete mit einem in den böhmischen Skoda-Werken entwickelten Feststoffantrieb, gestartet in den letzten Kriegstagen bei Arnstadt-Rudisleben.

Die klare Trennung zwischen Wahrheit und Legende wird wohl 60 Jahre nach Kriegsende nicht mehr vollständig zu vollziehen sein. Zumal immer wieder aktuelle Ereignisse die Verschwörungstheorien zu untermauern scheinen: Warum, fragen sich viele in der Gegend, wird der Truppenübungsplatz Ohrdruf zwar jetzt von der Bundeswehr aus Sparzwängen faktisch geschlossen, aber trotzdem nicht freigegeben? Oder warum folgten dem im Ilmkreis bekannten Vorzeige-Antifaschisten und Jonastal-Kenner Fritz Schörnig in der DDR immer mehrere Personenschützer, obwohl er gar kein hohes Amt bekleidete?

Die faktischen Beweise für die Existenz des Atomwaffenprogramms der Nazis in Thüringen indes stehen bisher noch aus. Selbst Messungen mit Genehmigung der Bundeswehr auf dem vermuteten damaligen Testgelände brachten nicht den erhofften Erfolg, es wurde kaum erhöhte Radioaktivität festgestellt. Doch selbst dafür hat Thomas Mehner eine schlüssige Erklärung parat: Die damalige Bombe war viel, viel kleiner als ihre späteren amerikanischen und sowjetischen Nachfahren und technisch ausgereifter. Wer ihm nicht glaubt, dem liefert der Autor in seinen Vorträgen sogar einen vollständigen Bauplan mit.

03.03.2005 Von Eberhardt PFEIFFER

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