Umgebettet nach Ilmenau – Bernsteinzimmer in Thüringen – vom 22.09.2006
Quelle: Thüringer Allgemeine am 22.09.06
Umgebettet nach Ilmenau
Der Mythos des Bernsteinzimmers verblasst. Tauchte er vor einigen Jahren stets so regelmäßig auf wie Nessie aus seinem schottischen See, sind neue Hinweise auf den Verbleib dieses seit dem Zweiten Weltkrieg verschwundenen Kleinods mittlerweile selten. Jetzt hat sich wieder eine Zeitzeugin gemeldet, die das Kunstwerk im Frühjahr 1949 in Thüringen gesehen haben will.
THÜRINGEN. Erika Brohn war in den letzten Jahren oft in Thüringen. Streifte durch Städte und Wälder, auf der Suche nach jenen Orten, die sie nach dem Krieg als junge Frau gesehen hatte. Damals in Begleitung sowjetischer Militärs.
Im Sommer 1947 hatte die 18-Jährige, die aus Schlesien nach Erfurt gekommen war, die volle Aufmerksamkeit des Geheimdien-stes erregt: Ihr Großvater hatte, wie sie erzählt, kurz vor seinem Tode im Jahre 1943 noch eine Verwandte des ostpreußischen Gauleiters Erich Koch geheiratet. Der war zwei Jahre nach dem Krieg immer noch untergetaucht. Seine Angehörigen sollten deshalb Auskunft geben über den Verbleib jener Kunstschätze, die Koch kurz vor dem Anrücken der sowjetischen Truppen 1945 aus der Festungsstadt Königsberg fortschaffen ließ.
Die junge Frau wurde nach Weimar gebracht und sah sich „einer Versammlung hochdekorierter Soldaten“ gegenüber. Denen sollte sie zunächst Auskunft über ihre Familienverhältnisse geben. Danach war das Verhör beendet. Zum Abschluss gab es „wunderbare Leberwurstbrote“. Offensichtlich wollte man sie, in der Hoffnung auf wertvolle Informationen, bei Laune halten. Sie wu rde zum Schweigen verpflichtet.
Über ein Jahr zogen sich die Verhöre hin, ohne dass sie ein greifbares Ergebnis gebracht hätten. Erst Ende 1948 soll der sowjetische Geheimdienst neue Informationen erhalten haben. Jedenfalls fuhr der ihr zugeteilte Dolmetscher mit der jungen Frau und einem Offizier in den Thüringer Wald nach Gräfenroda. Das Auto hielt an einer Lichtung. Dort trafen sie auf eine Gruppe Deutscher, die unter Aufsicht von Soldaten arbeiteten. Der Offizier verschwand im Wald. Erika Brohn und ihr Begleiter wurden von den Posten zurückgehalten. Von Weitem konnten sie ausmachen, dass im Schlamm fast verfaulte Teppiche lagen. „Mit alten Wolldecken war außerdem ein großer Haufen zugedeckt“, erinnert sich die heute 77-Jährige. Die Wachen schickten sie barsch zurück zum Auto, das sie bald darauf wieder nach Weimar brachte.
„Was du heute gesehen hast, waren die Reste des Bernsteinzimmers“, wird ihr später eröffnet. Koch soll das Kleinod gemeinsam mit seiner Kunstsammlung in Sicherheit gebracht haben. Seit der Gauleiter dies in polnischer Gefangenschaft zu Protokoll gab, sind die Theorien, die von einer Fortexistenz des Bernsteinzimmers ausgehen, zwangsläufig mit dem Schicksal der geraubten Gemälde verwoben. Diese – das gehört zu den wenigen gesicherten Informationen – trafen am 9. Februar 1945 in Weimar ein und wurden im Landesmuseum neben dem Gauforum gelagert. Am 9. und 10. April 1945 sollen dann Lkw mit Schweizer Flagge die Schätze in der Nacht abtransportiert haben. Ähnliche Transporte soll es auch von Schloss Reinhardsbrunn bei Gotha aus gegeben haben.
Als Ziele galten bislang Ostthüringer Schiefergruben, Bergwerke bei Saalfeld oder in Merkers und auch das Jonastal. Nun also Gräfenroda.
Nach den Erinnerungen Erika Brohns sollen die Kisten mit einem Zug eingetroffen sein. Er hatte eigentlich einen anderen Bestimmungsort. Angriffe von Tieffliegern zwangen dann die am Transport Beteiligten zu improvisieren. Die Waggons wurden rasch entladen und die wertvolle Fracht in Stollen in der Umgebung versteckt, wo sie im Winter 1948/49 dann gefunden worden sein sollen.In den Wäldern um Gräfenroda sollen nach Angaben von Heimatforschern etliche Stollen einer Öffnung harren. Ihr möglicher Inhalt reicht von Konstruktionsunterlagen über Waffen bis hin zu Gold und Edelsteinen. Der Thüringer Wald gehörte zu jenen Gebieten im Dritten Reich, die der Nazi-Führung sicher genug erschienen, um Betriebe samt Verwaltung und Fertigungsanlagen oder auch Kunstschätze zu verlagern. Zeitzeugen berichten von geheimnisvollen Transporten am Kriegsende. An Bäumen finden sich vor langer Zeit eingeritzte, nur noch schwer zu erkennende geheimnisvolle Zeichen. Was sie bedeuten, wurde bislang nicht ernsthaft erforscht, so dass die Legenden weiter gedeihen.
Geht es nach Erika Brohn, ist zumindest das Bernsteinzimmer nicht mehr in den noch vorhandenen Stollen um Gräfenroda zu finden. Offensichtlich schwer beschädigt wurde es nach Weimar gebracht. Im Gebäude der heutigen Parkschule soll es umgepackt worden sein. Danach habe die gesamte Ladung auf nur noch drei Lastwagen gepasst. „Alles darin war in Ölpapier und Kisten verpackt“, so erzählt die Zeitzeugin.
So geschützt seien die Reste des wertvollen Kunstschatzes nicht etwa zurück in die Sowjetunion transportiert worden. Statt dessen wurde der einmalige Schatz „umgebettet“, wie es die Verantwortlichen damals bezeichnet haben sollen. Erneut fiel die Wahl auf einen ins Gebirge getriebenen Stollen: Bei Ilmenau soll die Fracht schließlich eingemauert worden sein.
Erika Brohn verließ kurz darauf Thüringen und zog ins Ruhrgebiet. Als Erinnerung nahm sie einige golden glänzende Splitter aus dem Wald bei Gräfenroda mit. Ihr Vater schnitt sie neu und verzierte damit eine Holzschatulle. Als Beweis sei dies nicht mehr zu gebrauchen, beschieden sie die Behörden, an die sie sich nach dem Fall der Mauer gewandt hatte. Eine Suchaktion aufgrund der Berichte von Erika Bohn startete allerdings niemand.
Und so bleibt Erika Brohns bemerkenswerte Geschichte eine von vielen Theorien, die Aufschluss über den Verbleib des Bernsteinzimmers geben könnten. Oder auch nicht.
21.09.2006 Von Thomas ROTHBART