Zeithistoriker-Tagung über die Wahrheit hinter angeblichen Kernwaffentests im Dritten Reich – vom 14.03.2005
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Zeithistoriker-Tagung über die Wahrheit hinter angeblichen Kernwaffentests im Dritten Reich
Anlass ist die Präsentation des Buchs „Hitlers Bombe“ von Rainer Karlsch
Wien – Stand das Deutsche Reich kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs davor, den Wettlauf um die erste einsatzfähige Atomwaffe zu gewinnen? Gab es tatsächlich Kernwaffentests auf Rügen und in Thüringen? Die „sensationellen“ Forschungsergebnisse, die der Berliner Historiker Rainer Karlsch laut Verlagsangaben in seinem neuen Buch „Hitlers Bombe“ präsentiert, kommen in Wien erstmals auf den Prüfstein: das Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien veranstaltet am Freitag und Samstag (18.-19.3.) die Tagung „Perspektiven einer Wissenschaftsgeschichte der europäischen Kernforschung „, bei der die Ergebnisse des Historikers, der an dem Symposium teilnimmt, kritisch hinterfragt werden sollen.
Das Buch
Das Buch „Hitlers Bombe – Die geheime Geschichte der deutschen Kernwaffenversuche“ stützt sich laut Deutscher Verlags-Anstalt (DVA) auf die Auswertung bisher nicht veröffentlichter Quellen sowie auf physikalische Gutachten und Messungen. Demnach sollen deutsche Wissenschafter 1944/45 auf Rügen und in Thüringen nukleare Bomben getestet haben. Dabei seien mehrere hundert Kriegsgefangene und Häftlinge ums Leben gekommen. Neben Belegen für die Kernwaffenversuche habe Karlsch auch einen Entwurf für ein Plutoniumbombenpatent aus dem Jahr 1941 gefunden und zudem im Umland von Berlin „den ersten funktionierenden deutschen Atomreaktor“ entdeckt.
Der US-Historiker Mark Walker, ein international anerkannter Experte für die Nuklearwaffenentwicklung in der Zeit des Nationalsozialismus, hält Karlschs Beweisführung für „sehr überzeugend“. Doch seiner Ansicht nach hätten Hitlers Nuklearwaffen nicht annähernd die Gewalt der Atombomben gehabt, die die USA über Hiroshima und Nagasaki abwarfen, sie dürften eher mit einer so genannten „Dirty Bomb“ vergleichbar sein: Etwas nukleares Material von großen Mengen Sprengstoff umhüllt. Auch Walker wird an dem Symposium in Wien teilnehmen.
Die Tagung
Organisiert wird die Tagung von der Wiener Zeitgeschichte-Professorin Carola Sachse, die sich schon im Rahmen ihrer Leitung des Forschungsprogramms der Max-Planck-Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft in der NS-Zeit mit dem deutschen Uranverein befasst hat. Sie hält Karlschs Forschungsergebnisse für „in vielen Details überraschend“, wie sie erklärt. Das Verdienst des Historikers sei es, dass er verstreutes Wissen zusammengeführt, neue Quellen vor allem in russischen Archiven erschlossen und daraus die Geschichte der deutschen Kernforschung zwischen 1943 und 1945 in einer bisher noch nicht erreichten Dichte rekonstruiert habe.
Sachse betont, dass es sich „nach wie vor um eine Indizienkette handelt, die allerdings durchaus dicht ist“, aber an dieser oder jener Stelle noch zu diskutieren sei. Zentrale Fragen seien beispielsweise, ob das NS-Regime seine bisher als eher distanziert eingeschätzte Haltung gegenüber der Kernforschung in den letzten Kriegsjahren geändert hat, ob es sich tatsächlich um Kernwaffentests gehandelt hat, wie der Stand der deutschen Fusionsforschung war, ob wirklich ein Reaktor zum Laufen kam, welche der in Deutschland und Österreich erzielten Erkenntnisse in die Atom- und Kernwaffenforschung der Alliierten in der Nachkriegszeit eingeflossen sind, etc.
Unklare Rolle der Wiener Institute
Noch nicht hinreichend erforscht wurde nach Ansicht Sachses auch die Rolle, welche die beiden Wiener Institute gespielt haben, die Teil des deutschen Uranvereins gewesen sind: das Radiuminstitut der Akademie der Wissenschaften und das Institut für Experimentalphysik mit dem überzeugten Nationalsozialisten Georg Stetter als Vorstand. Diese seien bisher noch im Schatten der wissenschaftshistorischen Forschung hinter Lichtgestalten wie Werner Heisenberg gestanden. So stelle sich etwa die Frage, ob ein Fusionsexperiment, das 1941 angeblich im Rahmen eines Rüstungsauftrags im Hof der Wiener Physikalischen stattgefunden hat, einen rein anekdotischen Charakter hatte oder anders bewertet werden müsse, so Sachse.(APA)
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Das „merkwürdige Wasserstoffbomben-Experiment“ in Wien
Anekdote oder Wahrheit: Fusionsversuch im Hof der Wiener Physikalischen Institute im Jahr 1941
Wien – Haben Wiener Physiker im Zweiten Weltkrieg mit Kernwaffen experimentiert oder ist ein Fusionsversuch im Hof der Wiener Physikalischen Institute eher dem Anekdotischen zuzuordnen? Diese Frage beschäftigt auch Teilnehmer der Tagung „Perspektiven einer Wissenschaftsgeschichte der europäischen Kernforschung“ am Freitag und Samstag in Wien, die sich mit dem neuen Buch „Hitlers Bombe“ des Berliner Historikers Rainer Karlsch auseinandersetzen.
In dem Anfang dieses Jahres präsentierten Buch „Österreichische Zentralbibliothek für Physik“ wird dieses „merkwürdige Wasserstoffbomben-Experiment“ aus dem Jahr 1941 im Kapitel „Experimente, die nicht gelingen wollten“ beschrieben:
„Drähte explodieren lassen und Funken in die Deuteriumverbindung hineinknallen lassen“
Nach Entdeckung der Kernspaltung sei man auf den Gedanken gekommen, dass man durch die Fusion von Deuterium-Kernen (ein Wasserstoff-Isotop) auch Energie erzeugen könnte, wird der Physiker Joseph Braunbeck in dem Buch mit seiner Beschreibung des Experiments zitiert. Dabei ist von einem „Rüstungsauftrag“ aus dem Jahr 1941 die Rede und davon, dass man „das elektrisch zünden“ wollte. Man habe dazu „Drähte explodieren lassen und Funken in die Deuteriumverbindung hineinknallen lassen. Und der Dr. Hernegger (Friedrich Hernegger, ehemaliger Chef-Chemiker am Wiener Radiuminstitut), der damals als junger Wissenschafter mit der Durchführung des Experiments betraut war, hat mir noch erzählt, der Institutsvorstand hätte ihm gesagt: ‚Gehen’s mit die Sachen lieber in den Hof runter, weil wenn das losgeht, dann is‘ das ganze Labor hin.'“
So habe Hernegger im Hof der Wiener Physikalischen Institute auf einer Kiste seine Versuche gemacht. „Es kam nichts dabei raus“, wird in dem Buch Joseph Braunbeck weiter zitiert, und: „Das Groteske ist – und das ist wieder einmal ein Stück Herzmanovsky-Orlando: Wenn das wirklich ‚hochgegangen‘ wär‘, dann wär‘ der ganze neunte Bezirk weg gewesen und man hätte erst nicht gewusst, wie die experimentelle Technik war.“ (APA)