Zweifel an Hitlers Atombombe – vom 14.03.2005
Quelle: http://www.n24.de/politik/hintergrund/index.php/n2005031414201900002
14. März 2005
Zweifel an Hitlers Atombombe
„Hitlers Bombe“ ist der spektakuläre Titel eines Sachbuchs von Rainer Karlsch, das schon vor seiner Vorstellung am heutigen Montag erheblichen Widerspruch geweckt hat.
Sein offenkundig größtes Defizit, so Experten, liegt im Widerspruch zwischen dem Titel und den nachweisbaren Fakten: Ob die Waffenlabore des Dritten Reiches jemals etwas hervorgebracht haben, was entfernt den amerikanischen Bomben von Hiroschima und Nagasaki ähnelte, ist eine Frage, die weiterhin verneint werden muss.
Sprengsatz getestet
Das Buch bleibt demnach sowohl den Nachweis schuldig, ob im März 1945 in Thüringen tatsächlich ein Atomsprengsatz oder ähnliches getestet wurde, noch belegt es, dass im Jahr zuvor ein Kernreaktor erfolgreich in Betrieb gegangen sei. Beides ließe sich anhand von Untersuchungen an den Orten dieser Experimente überprüfen. Darauf jedoch hat Karlsch, der als Historiker und Autor einen guten Ruf genießt, verzichtet.
Karlsch verzichtet auch darauf, schlüssig zu erklären, was er mit einer „nuklearen Bombe“ meint, deren Sprengwirkung wesentlich schwächer als die einer Atombombe sei. Bei einer Atombombe wird durch einen konventionellen Sprengsatz eine Kettenreaktion mit elementarer Explosivwirkung im Bombenkern aus hochangereichertem, spaltbarem Uran ausgelöst. Karlsch nennt „Mini-Nukes“ und „Nukleargranaten“ als naheliegende Vergleichsgegenstände für „Hitlers Bombe“. Doch sind Mini-Nukes nach heutigem Verständnis nichts anderes als Miniatur-Atombomben, wie sie seinerzeit mangels Technologie nicht gebaut werden konnten.
Dirty Bomb
Was nicht in diesem Sinne Atomwaffe ist, kann nach heutigem Verständnis allenfalls eine „Dirty Bomb“ sein, also eine konventionelle Bombe, deren Sprengung strahlendes Material über eine relativ kleine Fläche verteilt – ohne Kettenreaktion, und ohne dass dazu mühsam in Zentrifugen hochangereichertes Uran erforderlich wäre. Es gilt ohnehin als sicher, dass Deutschland nicht über ausreichende Mengen waffenfähigen Urans verfügte.
War „Hitlers Bombe“ also ein Terrorismus-Gesellenstück in Low-Tech wie jene, deren Einsatz heute von Al Qaeda befürchtet wird? Karlsch gibt darauf keine klare Antwort außer der Nachricht über den Test in Thüringen, der für einen konventionellen Sprengsatz, mit dem Radioaktivität verbreitet werden soll, nicht unbedingt nötig gewesen wäre.
Unterhalb der sensationellen Behauptung, dass das NS-Regime gegen Kriegsende bereits über einen Atomsprengsatz in Testreife verfügt habe und damit dem häufig propagierten Endsieg mit „Wunderwaffe“ tatsächlich gefährlich nahe gekommen sei, ist das Buch allerdings brisant genug. Es belegt die Existenz eines Programms zur Entwicklung einer nuklearen Massenvernichtungswaffe jenseits der Gruppe um den Nobelpreisträger Werner Heisenberg, die sich durch Obstruktion und Verschleppung ihrer Entwicklungsarbeit Hitlers Plänen für eine verheerende „Wunderwaffe“ entzog.
SS-Verbindung
Kurt Diebner vom Heereswaffenamt, bislang kein großer Name in der Bewertung der deutschen Kernforschung während der Kriegsjahre, hat demnach mit seiner Forschungsgruppe erfolgreicher als Heisenberg Reaktorforschung betrieben. Und die bislang relativ makellose Biografie Walther Gerlachs, der die deutsche Kernphysik leitete und in dem Ruf steht, Heisenberg den Rücken frei gehalten zu haben, wird mit dem Vorwurf in Frage gestellt, er habe sehr aktiv um die Unterstützung der SS geworben für die Nutzbarmachung der Kernphysik in der Waffentechnik.
Gerlach war nach dem Krieg weiterhin als Hochschullehrer erfolgreich und beliebt, sozusagen ein Zeitzeuge der Version von den „guten“ Physikern, die Hitlers Pläne zur Produktion einer Massenvernichtungswaffe so gut es ging hintertrieben, während die „schlechten“, die diese Waffe gern herstellen wollten, wissenschaftlich dazu nicht in der Lage waren. Inwieweit der Teil des Buches Prüfungen standhält, der das in Frage stellt, müssen weiterführende Forschungen erweisen.