Drittes Reich – H-Bombe: A-priori-Entrüstung über die Karlschschen Thesen verständlich – vom 13.03.2005,
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung am 14.03.05
Drittes Reich – H-Bombe
Von Ulf von Rauchhaupt
13. März 2005 Hatte Hitler die Bombe? Heute wird ein Buch der Öffentlichkeit vorgestellt, dessen Titel anzudeuten scheint, daß er sie hatte.
Die im Vorfeld ausgebrochene, zumeist von keiner Lektüre getrübte Entrüstung über „Hitlers Bombe” sollte niemanden wundern. Hitler und die Bombe – das ist ein klassischer Topos für historiographischen Kitsch und ein Nährboden für unanständig wohliges, weil kontrafaktisches Grauen (hieße es dann heute nicht „Hamburg” statt „Hiroshima”?), wenn nicht gar für einen noch viel unanständigeren Stolz auf die insinuierten Leistungen deutscher Physiker im Hitlerreich.
Karlsch brachte neue Erkenntnisse
Aber trotz der Titelwahl behauptet der Autor, der Berliner Wirtschaftshistoriker Rainer Karl sch, keineswegs, die skandalöse Maximalthese belegen zu können. Andererseits kann er auch nicht alles von dem belegen, was er wirklich behauptet. Weder aus den Dokumenten noch aus den physikalischen Messungen, die er anführt, folgt bei näherer Prüfung, daß deutsche Physiker Ende 1944 einen Kernreaktor zum Laufen brachten oder daß sie im März 1945 in Thüringen einen Kernwaffentest durchführten (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 13. März). Weitergehende kernphysikalische Untersuchungen an Bodenproben von den Orten der mutmaßlichen nuklearen Ereignisse dürften Karlsch eindeutig bestätigen oder widerlegen. Aber dies wollte und konnte der Privatgelehrte nicht abwarten. Das, was er an quellenkritisch sauberen Indizien vorbringt – und leider bringt er auch anderes vor -, das läßt sich im Sinne seiner Thesen interpretieren, aber eben nicht zwingend. Dennoch hat Karlsch sich hier um die Erforschung der deutschen Kernforschung im „Dritten Reich” verdient gemacht. Denn was er belegen kann – und zwar anhand von neuem, bisweilen sensationellem Material aus bisher unzugänglichen Archiven -, das wirft in der Tat ein neues Licht auf das Thema.
Auch aus Gründen der Quellenlage stand bisher vor allem die Gruppe um den Nobelpreisträger Werner Heisenberg im Mittelpunkt des historischen Interesses. Bei Karlsch gewinnen nun andere, bisher als eher randständig angesehene Gruppen an Kontur, vor allem die um Kurt Diebner vom Heereswaffenamt. Der genoß nach dem Krieg einen recht zweifelhaften wissenschaftlichen Ruf, obwohl sein Reaktorkonzept dem Heisenbergs überlegen war. Die Reaktorexperimente der Diebner-Gruppe wurden nach Karlschs Erkenntnissen deutlich länger erfolgreich weitergeführt als bisher bekannt.
„Wie ein besiegter General”
Noch spannender ist das neue Licht, das bei Karlsch auf Walther Gerlach fällt. Der Münchner Ordinarius war zwar 1944/45 offizieller Chef der vom Reichsforschungsrat gestützten kernphysikalischen Forschung – aber offenbar beschränkte sich seine Rolle keineswegs darauf, Heisenberg und den Seinen organisatorische Schützenhilfe zu leisten. Vieles weist darauf hin, daß er seine Aufgaben umfassender und effektiver wahrnahm und daß er sich intensiv dafür engagierte, in Zusammenarbeit mit der SS die Kernspaltung waffentechnisch nutzbar zu machen. So gesehen gab es zumindest ein deutsches Kernwaffenprogramm.
Damit wird auch eine Episode verständlich, die den Historikern bislang Rätsel aufgab: Als die Nachricht vom Atombombenabwurf über Hiroshima den englischen Landsitz Farm Hall erreichte, wo Gerlach mit neun anderen deutschen Kernphysikern interniert war, erlitt er einen Nervenzusammenbruch. „Wie ein besiegter General” habe Gerlach sich verhalten, berichteten seine Aufseher. Im Lichte der Karlschschen Erkenntnisse ein treffendes Bild: Den Amerikanern gelang, was unter seiner Verantwortung in Deutschland nicht gelungen war. Die Testexplosion in Thüringen, aus deren spärlichen Spuren Karlsch zwar gekonnt einen Showdown komponiert, von der aber noch nicht geklärt ist, ob dabei irgendwelche Kernreaktionen abliefen – sie war eben noch lange keine Bombe.
A-priori-Entrüstung über die Karlschschen Thesen verständlich
Das Interessante an Karlschs Befunden ist daher keineswegs militärgeschichtlicher Natur, sondern liegt in Dingen wie der Neubewertung Walther Gerlachs als treibender Kraft hinter einem Programm, bei dem Figuren wie der Heeresforscher Diebner bis zuletzt an grauenvollen Waffen schraubten. Da fragt man sich, wie das zu dem Walther Gerlach paßt, der sich nach dem Krieg als fortschrittlicher Hochschullehrer großer Beliebtheit bei seinen Studenten erfreute und der sich, etwa als Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, energisch jeder Beteiligung der Universitäten an Rüstungsforschung widersetzte. Ganz so ungewöhnlich, wie es scheint, ist der Befund allerdings nicht. So weist der Freiburger Historiker Bernd Rusinek, der an einer Gerlach-Biographie arbeitet, darauf hin, daß Gerlachs Forschung schon vor dem Krieg nahe an militärischen Anwendungen war. Und Männer, die, ob aus Nazi-Gesinnung oder übersteigerter Vaterlandsliebe, dem Regime bis zum Ende treu dienten und dann binnen eines Jahrzehnts zu überzeugten Demokraten sich wandelten, sind ebenfalls ein bekanntes Phänomen.
Die erhellenden neuen Details, die Karlsch über Gerlach, aber auch über Diebner ans Licht bringt, nagen damit auch an einem Gründungsmythos der kernphysikalischen Elite in der Bundesrepublik, der besagt, daß es im Dritten Reich zwei Sorten von leitenden Kernphysikern gab: zweitklassige Naziforscher wie Diebner und erstklassige Wissenschaftler, zu denen auch Gerlach zählte, die sich dem Regime, so gut es ging, entzogen. Da nur erstklassige Physiker Hitler eine Bombe hätten bauen können, konnte dieser also gar keine gehabt haben. Auch vor diesem Hintergrund ist die A-priori-Entrüstung über die Karlschschen Thesen verständlich.
Text: F.A.Z., 14.03.2005, Nr. 61 / Seite 35