Viel Lärm um nichts? Was geschah im März 1945 auf dem Truppenübungsplatz in Ohrdruf? – vom 03.08.2005
Folgendes Feedback sendete uns Herr Rainer Karlsch als Nachbetrachtung zum gemeinsamen Treffen am 25.06.2005 nach dem „1. Ohrdrufer Gespräch“ zum Thema: Das Buch „Hitlers Bombe“ – Kolloquium 3 Monate nach der Veröffentlichung.
Die Mitglieder des Jonastalvereins wollten gemeinsam mit dem Buchautor die nationalen und internationalen Auswirkungen seiner Veröffentlichung besprechen und auf die vielfältigen Reaktionen eingehen. Weiterhin wollten wir besonders die Zusammenhänge der deutschen Atomforschung in Thüringen während des Zweiten Weltkrieges heraus arbeiten und gemeinsam mit allen Teilnehmern Fakten zusammentragen. Leider reichte der Platz in der neuen Zeitschrift (Nr. 5/ 2005) nicht aus, um das Feedback komplett abzudrucken. Aus diesem Grund veröffentlichen wir an dieser Stelle alle Anmerkungen von Herrn Karlsch zur Diskussion.
„Viel Lärm um nichts?“ Was geschah im März 1945 auf dem Truppenübungsplatz in Ohrdruf?
Den Veranstaltern gebührt ein großer Dank für diese gut vorbereitete Veranstaltung. Die Diskussion wurde hart aber fair geführt. Ich habe aus den Debatten und den nachfolgenden intensiven Einzelgesprächen vieles an neuen Erkenntnissen und Sichtweisen mitgenommen, was mir die Überarbeitung meines Buches erleichtern wird. Dies gilt vor allem für die Frage, wo genau der Test stattfand und unter welchen Umständen. Hilfreich waren auch einige quellenkritische Anmerkungen, auch wenn diese im Vorfeld der Veranstaltung in einer nicht akzeptablen Form vorgetragen wurden.
In den ersten Medienreaktionen wurde nur auf die Tests einer „Atombombe“ Bezug genommen. Dabei wurden die grundlegenden Unterschiede zwischen den Atombombentypen der Amerikaner und den deutschen Versuchen fast vollständig ausgeblendet, was zu bisweilen grotesken Fehleinschätzungen beitrug. Einige der eifrigsten Kritiker hatten keine Zeile des Buches gelesen, glaubten aber, sich zu den Gerüchten um „Hitler Bombe“ äußern zu müssen.
Es gab Redaktionen in Hamburg und andernorts, die „Hitlers Bombe“ partout nicht ertragen wollten, und mit ihrem ganzen Einfluss dagegen Front gemacht haben. Auch solcherart Anerkennung muss man sich hart erarbeiten.
Inzwischen hatte ich genügend Gelegenheit, vor Physikern, Wissenschaftshistorikern, Offizieren und Interessierten meine Thesen vorzustellen. Dies geschah unter anderem auf Einladung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, des Deutschen Museums für Technikgeschichte München, des Einstein-Forums sowie der Universitäten Stuttgart, Frankfurt/M. und der FU Berlin. Physiker und Historiker nahmen und nehmen das Buch zum Anlass, um an Universitäten in London, Paris und Berkeley über den tatsächlichen Stand der kernphysikalischen Forschungen im Dritten Reich zu disputieren. Sehr hilfreich ist vor allem eine Gruppe von hochkarätigen Physiker und Wissenschaftshistorikern aus Los Alamos, London und New York. Mit ihnen diskutieren wir die im Buch aufgeworfenen Fragen zurr Physikgeschichte. Aus diesem Kreis bestreitet niemand den Wert der Untersuchung, was nicht heißt, dass alle meine Thesen Zuspruch finden.
Ich habe auf 300 Buchseiten versucht, die gesamte Geschichte der kernphysikalischen Forschungen im Dritten Reich in populärer Form zu behandeln. Es ging mir nicht darum, ein Buch für ausschließlich für Fachleute zu schreiben, sondern einen größeren Leserkreis anzusprechen. Dies war angesichts der Komplexität der Materie ein gewagtes Unterfangen, hat sich aber als tragfähig erwiesen.
Die Diskussion in Ohrdruf konzentrierte sich nahezu ausschließlich auf die Tests in Thüringen, was angesichts der Arbeitsschwerpunkte des Vereins verständlich ist. Allerdings blieben damit von 300 Seiten Text, ca. 250 Seiten ausgeblendet. Wenn ich mich im Folgenden stichwortartig nur auf einige strittige Punkte den TüP betreffend konzentriere, so geschieht dies in Kenntnis ihrer Interessenlagen.
1) Was wurde getestet?
– Es geht nicht um den Nachweis des Tests einer Kernspaltungsbombe (Uran- bzw. Plutoniumbombe). Eine solche wurde in Thüringen nicht erprobt. Sie können sich daher jede weitere Diskussion, die der Widerlegung dieser, von mir an keiner Stelle formulierten, These sparen.
– Da es keinen Test einer „klassischen Atombombe“ gab, kann davon auch nicht in den Quellen die Rede sein.
– Welche Erklärungsansätze stehen zur Diskussion:
a) chemisch gezündete Fusion
b) Sprengstoff + kleine nukleare Komponente
c) Radgum
– Wir (damit meine ich Heiko Petermann und mich) gehen vom Szenarium a) aus.
– Erst vor wenigen Tagen habe ich die kompletten Geheimpatente von Schumann/Trinks auf Hinweis eines Schweizer Patentanwalts gefunden. Daraus gehen die Wege, die zum Bau von Atomhohlladungen führten, klar hervor. Ausgangspunkt sind die Erfahrungen aus der HL-Forschung; es werden Tests mit verschiedenen Konfigurationen (Kugel, Zylinder, usw.) erwähnt; Hauptprozess war die Fusion leichter Elemente; die Konfiguration wurde mit einem Tamper aus U238 versehen; im U238 Mantel erfolgte eine Spaltung des darin zu 0,7 % enthaltenen U235.
– All dies deckt sich mit den in Buch, vor allem in Abschnitt 3.1 vorgestellten Quellen (Darüber wurde in Ohrdruf leider nicht diskutiert).
– Die Wirkung dieser Atomhohlladungen war begrenzt, da kein thermonuklearer Abbrand, sondern nur Anfangsreaktionen erreicht wurden.
– Das Lawson-Kriterium wurde demnach nur direkt im Konvergenzzentrum erreicht. Dies war die physikalische Grenze für den Fusionsprozess.
– Auf den TüP bezogen bedeutet dies: beim Test wurde lediglich ein geschätztes TNT Äquivalent von weniger als 10 Tonnen erreicht.
2) Welche Belege gibt es für die Tests auf dem TüP?
A) GRU Dokumente, Zeitzeugenaussagen
– Zentral sind die beiden GRU-Berichte und der Brief von Kurchatov an Stalin. Diese Dokumente wurden in der Vorphase der Tests bzw. unmittelbar danach verfasst.
– Ich erinnere nochmals an den GRU-Bericht vom 23.3.1945. Dort heißt es im ersten Satz: „In der letzten Zeit haben die Deutschen in Thüringen zwei große Explosionen durchgeführt.“
– Da die Russen den Namen ihrer damaligen Quelle nicht preisgeben, wissen wir nicht, wie nah die Person den Geschehen tatsächlich war. Flerov fährt wenige Tage nach seiner Ankunft in Deutschland von Berlin nach Dresden. Sein Auftrag war eindeutig: er sollte das Explosionsgebiet untersuchen. Von Dresden aus wollte er „an einen Ort, den sie (Kurchatov) kennen“ fliegen.
– Die späteren Aussagen (Werner, Wachsmut, Grothmann) korrespondieren in den entscheidenden Punkten mit den Kernsätzen der GRU Berichte. Dies sind: die Tests wurden von der SS vorbereitet, es gab zwei Explosionen mit starkem radioaktiven Effekt, dabei kamen Kriegsgefangene um bzw. wurden verletzt.
– Die Aussage des Spaziergängers steht nicht im Widerspruch zu diesen Aussagen, da er erst ca. 4 Wochen später in der Nähe des vermuteten Testplatzes war.
– Die methodischen Probleme beim Umgang mit Zeitzeugenaussagen sind nicht zu bestreiten. Selektives Vorgehen hilft da nicht (nach dem Motto, was mir passt wird zitiert, das andere wird weggelassen). Es bleibt nur das wiederholte Abgleichen der verschiedenen Aussagen und ihre kritische Abwägung mit anderen Fakten.
– Wortwörtlich sind weder Wachsmut noch Werner oder Grothmann zu nehmen. Stets sind Abstriche zu machen. Auch bei den GRU Dokumenten gibt es Unschärfen. Insgesamt jedoch ergibt sich aus den Dokumenten, Aussagen, Luftbildern und Bodenproben ein Bild.
– Alle Zeugen sprechen von einer Explosion mit nuklearen Effekten und Toten bzw. verletzten Kriegsgefangenen. Ob tatsächlich Einwohner Nasenbluten hatten, ob es einen Windzug gab, ob mehrere Verbrennungsplätze existierten, oder nur einer, ist letztlich nicht maßgebend. Da mischen sich Ausschmückungen mit real Erlebtem. Man kennt dies aus der Holocaust-Forschung. Trotzdem kommt niemand, der sich seriös damit befasst auf die Idee, all diese Erzählungen als Märchen abzutun.
– Zentral bleiben aus meiner Sicht die GRU Berichte. Alles andere sind ergänzende Quellen, da diese viel später verfasst wurden.
B) Luftbilder
– Die Luftbildanalyse von Matthias Muckel wurde von amerikanischen und deutschen Fachleuten als qualifiziert eingeschätzt. Darauf werden wir uns auch weiterhin beziehen. In etwa in der Mitte der Verdachtsfläche sind zwei kleiner „Krater“ zu erkennen und eine auffällig kreisrunde große Fläche.
C) Messungen
– Sowohl bei den von Mitarbeitern der Universität Gießen als auch bei denen von der PTB vorgenommenen Messungen wurden auf dem TüP, und zwar nur im Bereich der vermuteten Explosion, deutlich über den Thüringer Durchschnittswerten liegende Werte für U238 ermittelt. Dies spricht für die Verwendung eines Tampers aus U238.
– Vergleiche mit höheren Werten in anderen Regionen besagen nichts. Es geht uns nur um die Verdachtsfläche auf dem TüP, und dort liegen nun mal die Messwerte deutlich über den in 2 km Entfernung genommenen Proben.
– Es wurden Li6 und eine Reihe von Spaltprodukten gefunden. Belastbare quantitative Aussagen liegen dazu bisher noch nicht vor. In Anbetracht der Begrenztheit der Explosion dürfte eine zweifelsfreie Nachweisführung schwierig sein.
– Die ebenfalls erfassten Werte für Cs137 und Co60 sind als Indizien, aber nicht als finale Kriterien anzusehen.
3) Wer waren die Verantwortlichen?
Unbedingt zu beachten sind die konkreten Umstände. Die Wissenschaftler um Gerlach und Diebner standen unter enormen Druck. Sie ahnten es, die Fronten halten nur noch wenige Wochen. Andererseits hatten sie durch ihre Arbeiten bei der SS-Führung enorme Erwartungen geweckt im Sinne einer ultimativen Waffe. Diesen Erwartungen konnten sie mit ihrem Testprogramm unmöglich entsprechen.
Ihre Entwicklungen waren nicht ausgereift (und sollten sich später als Marginalie in der Geschichte der Kernwaffenentwicklung erweisen). Trotzdem waren sie gezwungen zu zeigen, wie weit sie schon waren. Außerdem gab es auch unter den Wissenschaftlern Fanatiker, die den Krieg unter keinen Umständen verlieren wollten. Es gab Anfang März 1945 noch immer Hoffnungen den Alpenraum, Böhmen und Norwegen zu halten, so irreal dies uns auch heute erscheint.
Bis ins Detail geplant waren die Tests keineswegs. Vieles deutet darauf hin, dass sie hastig improvisiert wurden. Ein Protokoll von den Teilnehmern am Test gibt es nicht. Wir bleiben daher auf Plausibilitätsüberlegungen angewiesen. Grundlagenforschungen für die Entwicklung nuklearer Hohlladungen wurden vom HWA (Schumann/Trinks), der AEG (Ramsauer) und der Luftwaffenakademie Berlin-Gatow (Schardin) und in gewissem Umfang bei der Marine betrieben. Diebners Gruppe wurde dazu hinzugezogen und dürfte für die Vorbereitungen des Tests auf dem TüP die Verantwortung getragen haben.
Wie viele Kriegsgefangene beim Test umkamen, ist anhand der Quellen nicht eindeutig zu klären. Das Szenario erscheint uns jedenfalls klar: die SS wollte die Wirkung der neuen potentiellen Waffe testen und zugleich die Wissenschaftler zu Mitwissern und Mitschuldigen machen.
Ob eine Explosion von weniger als 10 t TNT Äquivalent selbst bei großer Neutronenintensität zu Strahlenschäden in den umliegenden Dörfern führen konnte, ist fraglich. Wir wissen nichts über die Höhe der Belastung des Staubes.
4) Sind alternative Orte auszuschließen?
Nein. In den GRU Berichten wird der genaue Ort nicht genannt. Kurchatov muss ihn aber gekannt haben, ansonsten hätte der Flerov nicht auf geheime Spurensuche schicken können.
Letzte Zweifel über den Ort des Geschehens können erst ausgeräumt werden, wenn die GRU Unterlagen oder der Film zu dem besagten Ereignis freigegeben werden. Entsprechende Bemühungen laufen.
5) Alles nur ein Bluff oder Ausgeburt der Phantasie des Autors?
– Nein. Über die Tests wurde in der Sowjetunion auf höchster Ebene berichtet. Flerov war keinem Irrlicht auf der Spur.
– Die vom HWA und anderen entwickelte Technologie zur Zündung nuklearer Hohlladungen war bis 1971 geheim. Als Patentanmelder fungiert das Bundesverteidigungsministerium.
– Auch in anderen Ländern (USA, Frankreich, UdSSR, Polen) wurde zum Problem der chemisch ausgelösten Fusion geforscht. Die Kernwaffenstaaten brachen ihre Versuchsserien jedoch bald ab, da sie über wirkungsvollere Waffen verfügten.
Für eine Fortsetzung der Diskussion auf Grundlage des neusten Erkenntnisse und internationaler Expertisen stehe ich dem Verein bei passender Gelegenheit gern zur Verfügung.
Rainer Karlsch