Hitlers Bombe und die Bombenpresse – vom 29.03.2005

Link zur Diskussion im GTGJ-Forum: Rainer Karlsch: Hitlers Bombe

Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_127d/T04.HTM

von Dr. Sebastian Pflugbeil, Physiker, Berlin
Der Berliner Wirtschaftshistoriker Dr. Rainer Karlsch hat vier Jahre recherchiert, um besser zu verstehen, wie weit die Kernforschung, insbesondere die militärische Kernforschung, in den letzten Jahren des Dritten Reiches tatsächlich gekommen ist.

Die bisher gültige Lehre hatte sich auf die beiden hochangesehenen Physiker Carl-Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg konzentriert, beide hätten nach anfänglicher Geistesverwirrung für die Entwicklung einer Atombombe rechtzeitig gemerkt, was sie da taten, und dann den weiteren Gang der Dinge so verzögert, dass es vor Kriegsende mit der deutschen Atombombe nichts mehr wurde.

Karlsch hat auf 418 Seiten, gestützt auf fast 1000 Quellen, völlig neue Aspekte dieses Problemkreises erschlossen, er hat in bisher unbekannten Nachlässen und in deutschen, amerikanischen, belgischen, italienischen, englischen, israelischen und vor allem russischen Archiven Belege gefunden, an denen künftig niemand vorbeikommen wird, der sich mit dieser Zeit ernsthaft befassen will. Die Rolle von Weizsäckers und Heisenbergs ist zu korrigieren, der von seinen Schülern verehrte Physikprofessor Walther Gerlach sowie Kurt Diebner und Erich Schumann werden im Dienste der SS zu den Schlüsselfiguren der deutschen Atombombe.

Nicht alle von Karlsch zusammengetragenen Details sind neu – seit Jahren bemühen sich mehrere Autoren um die «Wunderwaffen», Hitlers Uranmaschine und Atombombe, um die sagenumwobenen riesigen Bunkeranlagen, deren Existenz man schlecht bestreiten kann, deren genaue Lage und Zweckbestimmung jedoch in vielen Fällen unklar ist. Sie wurden von den amerikanischen oder russischen Siegern weitgehend unzugänglich gemacht. Die in diesem Kontext entstandenen Bücher erheben nicht den Anspruch, wissenschaftliche historische Studien darzustellen. Sie enthalten jedoch Namen, Daten, Zusammenhänge, Vermutungen, Überlieferungen und Quellenhinweise, ohne die der Historiker Karlsch das brisante Thema «Hitlers Bombe» wahrscheinlich nicht angepackt hätte.

Die Diffamierung dieser Autoren als Verschwörungstheoretiker oder Nazi-Esoteriker erscheint angesichts der Verschwörungspraktiker auf der anderen Seite, die jahrzehntelang geschwiegen, verschwiegen und fabuliert haben, oder, wie gerade in den USA geschehen, die aus Deutschland nach Kriegsende abtransportierten Unterlagen für 50 weitere Jahre für die Öffentlichkeit sperren, unangemessen.

Rückenwind aus den USA
Die Reaktion der «Öffentlichkeit» auf die Einladung der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) zu einer Pressekonferenz in Berlin, auf der das Buch vorgestellt werden sollte, war ebenso bemerkenswert wie die Beurteilung des Buches durch Historiker und Physiker aus dem In- und Ausland. Es gab bereits abfällige Pressemeldungen vor der Pressekonferenz und bevor auch nur ein Blick in das Buch möglich gewesen wäre. Auch Fachleute äusserten sich abfällig über das neue Buch, ohne es gelesen zu haben. Zu der Pressekonferenz hatte die DVA den Historiker Mark Walker (USA) und den Physiker Friedwardt Winterberg (USA) als Fachleute eingeladen. Prof. Walker hat sich mit seinem auch in Deutschland veröffentlichten Buch «Die Uranmaschine» als Fachmann für die Nazi-Kernenergie ausgewiesen. Prof. Winterberg ist in der Öffentlichkeit weniger bekannt, er hat bei Heisenberg seine Doktorarbeit geschrieben und ist nach einer kurzen Zeit in Geesthacht (unter der Leitung von Prof. Kurt Diebner) in die USA gegangen. Er hat sich lebenslang mit Fragen der Trägheitsfusion befasst, einer Disziplin, deren Grundideen aus der Zeit von «Hitlers Bombe» stammen und die heute irgendwo im Nebel zwischen friedlicher und militärischer Nutzung der Kernenergie mit grösserer Nähe zu militärischen Fragestellungen intensiv weiterbetrieben wird.

Walker äusserte sich sehr anerkennend über das Buch von R. Karlsch. Dieser hätte etliche Dokumente und Zusammenhänge gefunden, nach denen er selbst vergeblich gesucht hätte. Diese Anerkennung wurde jedoch dann deutlich entwertet durch eine einigermassen kuriose These von Walker: Er lehnte die Verwendung des Begriffs «Atombombe» ab, nicht, weil er die von Karlsch diskutierten Tests bezweifelte, sondern weil er meinte, der Begriff «Atombombe» sei «historisch definiert» und vergeben für die Bomben, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Bomben dieser Art hätten die Nazis aber nicht gehabt, also dürfe man auch nicht von Atombomben reden. Mit der Rede von einem «Test eines sehr kleinen, eines taktischen Kernsprengsatzes» wäre er aber einverstanden.

Walker hat die beschriebenen Auswirkungen des Tests auf dem Truppenübungsplatz bei Ohrdruf (Thüringen) am 3. oder 4. März 1945 nicht in Frage gestellt: heller Blitz, in 500 Metern Entfernung noch umgeknickte Bäume, 500 bis 700 ermordete Häftlinge, wahrscheinlich aus dem Arbeitslager Ohr-druf, einer Aussenstelle des KZ Buchenwald. Angekommen ist diese schwer nachvollziehbare Position Walkers in den Medien als Expertenvotum, dem zufolge es im Dritten Reich keine Atombombe gab, Karlschs These damit also als falsch anzusehen sei. Dass es Walker nur um eine semantische Frage ging, konnte er schlecht vermitteln, jedenfalls verstanden ihn die Journalisten nicht so.

Wenn Walker beklagt, dass der wenig vorgebildete Leser bei dem Begriff «Atombombe» an eine Waffe denkt, die Zerstörungen in der Grössenordnung der Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki verursachen kann, übersieht er die gerade in der jüngeren Vergangenheit wieder aufgeflammte Debatte um Mini-Nukes bzw. Miniatomwaffen, die die USA mal entwickeln, mal nicht. So ahnungslos, wie Walker befürchtet, sind die Leser des Buchs von R. Karlsch nicht. Wenn Walker sich so weit in die Leser hineinversetzt, dass er mögliche Missverständnisse vorhersehen zu können meint, dann müsste ihm bewusst sein, dass seine Darstellung bei den Journalisten so ankommt, als würde er es für unmöglich halten, dass die Tests kurz vor Kriegsende stattfanden – das hat er aber tatsächlich nicht so gemeint.

Gewichtiger war die Erklärung von F. Winterberg. Er erläuterte mit Hilfe von groben Skizzen auf einigen grossen Papierbögen, wie eine Atombombe funktioniert und wie man mit Hilfe konstruktiver Details erreichen kann, dass man für eine Atombombe nicht rund 50 Kilogramm hochangereichertes Uran braucht, sondern mit einer Spaltstoffmenge im Bereich von nur 100 Gramm auskommt. Dabei muss man allerdings Fusionsreaktionen und Hohlladungsphysik mit zum Bombenbauen nutzen, beides hätte die Gruppe um Diebner versucht. Winterberg bestritt, dass die Nazis eine kriegstüchtige Atombombe hatten, er bestritt aber nicht, dass sie zu Kernwaffentests in der Lage waren.

Als die Journalisten ihre Kabel zusammenrollten, unterstrich Winterberg nochmals nachdrücklich, dass er beschwören könne, mit seinem damaligen Chef, Professor Diebner, mehrfach über die Kernwaffentests in den letzten Kriegsmonaten geredet zu haben. Von den Medien wurden die Äusserungen Winterbergs lächerlich gemacht («Sendung mit der Maus»), obwohl er einer der ganz wenigen noch lebenden Fachleute, Physiker ist, der persönlich mit K. Diebner, dem Vater der Nazi-Bombe, zusammengearbeitet hat (nach dem Krieg) und der aktiv auf dem brisanten Gebiet der Trägheitsfusion gearbeitet hat und noch arbeitet, die mit hoher Wahrscheinlichkeit schon bei der Konstruktion von Hitlers Bombe versucht wurde.

Winterberg hat auf einen wichtigen Nebenaspekt aufmerksam gemacht: Im Zusammenhang mit den Bemühungen um Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen ist es wesentlich, ob man für eine Uran-Atombombe 50 Kilogramm hochangereichertes Uran braucht oder ob 100 Gramm reichen. Natürlich sind 100 Gramm sehr viel leichter zu beschaffen oder zu erzeugen als 50 Kilogramm. Natürlich braucht man zur Herstellung von 100 Gramm nur einen Bruchteil der Zentrifugen, die man für den Bau von 50-Kilogramm-Uran-Atomwaffen bräuchte (statt 10000 etwa 200). Die Herstellung der 100-Gramm-Atombomben ist nicht nur billiger, sie lässt sich auch leichter geheimhalten als das grosstechnische Herangehen, das die Amerikaner und die Russen praktizieren.

Es gibt ernstzunehmende Wissenschaftler, die wegen dieses Aspekts die Diskussion über die kleinen Atombomben für gefährlich halten. Wir favorisieren die offene Diskussion – nur wenn man versteht, wie wenig zum Bau einer Atombombe erforderlich ist, kann man scharf genug dafür sorgen, dass auch dieses «Wenige» nicht leichtfertig zur Verfügung gestellt wird (etwa unter dem Deckmantel der friedlichen Nutzung der Kernenergie). Wir gehen davon aus, dass es für interessierte Regime oder Terrorgruppen nicht schwer ist, beispielsweise einen der vielen arbeitslosen oder miserabel bezahlten Kernphysiker oder Kernchemiker aus der früheren Sowjetunion zum Atomwaffenbau anzuwerben, diese Leute sind sicher nicht auf fachliche Hinweise aus deutschen Zeitungen angewiesen. Die Politiker, die die Regeln um Atomwaffen festlegen, brauchen die Nachhilfe in Form einer offenen Diskussion über die Aktualität und das Ausmass der Gefahr aber dringend.

Karlsch stellt sich der wissenschaftlichen Diskussion
Wenige Tage nach der irritierenden Pressekonferenz in Berlin gab es eine internationale wissenschaftliche Tagung von Zeithistorikern in Wien, auf der es um die Geschichte der europäischen Kernenergienutzung ging – im Zentrum der von Frau Prof. Carola Sachse geleiteten Tagung stand das Buch von R. Karlsch. Nach der überwiegend ablehnenden Haltung der Medien und der von ihnen befragten Fachleute zu dem neuen Buch ist es Frau Sachse hoch anzurechnen, dass sie diese wissenschaftliche Diskussion ermöglicht hat. Der Extrakt der Diskussionen ist jedoch schwer zu verstehen. Prof. Walker berichtete zunächst von dem rätselhaften Besuch von Heisenberg und von Weizsäcker bei Niels Bohr im deutsch besetzten Dänemark, den die drei beteiligten Wissenschaftler extrem unterschiedlich dargestellt haben. Zu dem Buch von Karlsch gab er dann eine Einschätzung wie in der obengenannten Pressekonferenz. Prof. Paul Josephson – langjähriger Nutzer und Kenner von russischen Archiven – äusserte sich insofern skeptisch zu der Atombombenthese von R. Karlsch, als er auf den immensen Aufwand in den USA und in Russland hinwies, der auf dem Weg zur Atombombe getrieben wurde – Anzahl der hochkarätigen Wissenschaftler, eingesetzte Gelder usw. Schon daraus würde folgen, dass Hitlers Bombe keine Atombombe gewesen sein könne.

Leider gab es auch hier keine Diskussion über physikalisch-technische Details, die beiden amerikanischen Experten hatten auch noch nicht alle Kopien der Dokumente aus den russischen Archiven studiert, die ihnen vorher zugestellt worden waren. Es war auch nicht möglich, die von mehreren Instituten vorgenommenen Isotopenmessungen an Bodenproben von den Testorten in Thüringen, auf Rügen und von der Umgebung des Kernreaktors am Rand von Berlin genauer zu diskutieren – dafür trägt Karlsch nicht die Verantwortung, die betreffenden Institute tun sich sehr schwer, ihre Ergebnisse, ihre mündlich bereits abgegebenen Bewertungen auf einem vorzeigbaren Kopfbogen zu Papier zu bringen. Es werden weitere Messungen durchgeführt, darüber geht die Zeit dahin, und es ist zu befürchten, dass nach und nach mehr und mehr sich gar nicht physikalische Überlegungen mit der Darstellung der Messwerte und ihrer Interpretation vermengen werden, hoffentlich erweist sich dieser Verdacht als unbegründet.

Zwischenbilanz
Man kann bis zu einem gewissen Grade nachfühlen, dass Wissenschaftshistoriker nur begrenzt begeistert reagieren, wenn ein Kollege etwas gefunden hat, was sie selbst übersehen hatten oder nicht finden konnten, zumal dann, wenn die neuen Funde für ihre früheren Schriften bedeuten, dass sie sie eigentlich korrigieren müssten. Die Begründung der Kritik lediglich mit dem Hinweis auf frühere Publikationen, die ja zu anderen Ergebnissen gekommen wären, ist sehr schwach – wären Wissenschaftler stets so verfahren, würde sich heute noch die Sonne um die Erde drehen.

Was die bissigen und hämisch-abfälligen Medienreaktionen angeht, so ist schwer zu verstehen, wie so etwas zustande kommt, wobei nur in Ausnahmefällen angenommen werden kann, dass die Journalisten das Buch vor ihrem Votum auch nur gesehen haben.

Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher auf den Inhalt des Buches von R. Karlsch eingehen, wir möchten zuvor zumindest einige wichtige Belege, auf die sich Karlsch stützt, studieren und uns auch mit den Messergebnissen im Detail auseinandersetzen. Vorläufig ziehen wir aus den nachgeplapperten, bösartigen und wenig stichhaltigen Einwänden der Mainstream-Medien den Schluss, dass Rainer Karlsch mit seinen Thesen getroffen hat, auch wenn wir noch nicht sicher sagen können, was.

Quelle: Strahlentelex Nr. 438-439/2005,

www.strahlentelex.de

«Totaler Schmarren» (spiegel online, 3. März)

Gerüchte über Hitlers Bombe, … Zweifel sind angebracht (Berliner Morgenpost, 5. März)

Bereits vor Erscheinen sind Zweifel angebracht (Die Welt, 5. März)

Aus der medialen Zentrifuge (Süddeutsche Zeitung 5. März)

«Hitlers Bombe»: Bomben-Geschäft (Die Presse, Österreich, 8. März)

Hitlers Atombombe; Oder doch nicht? «Egal!» (Die Zeit, 10. März)

Nazi-Esoterik (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13. März)

Hitlers Atombombe: Explosion der Fantasie; Experten winken jedoch müde ab. (Die Presse, Österreich, 14. März)

Hitlers willige Bastler (Süddeutsche Zeitung, 14. März)

Es fehlen glaubhafte Belege; nur Laienaussagen (Stern, 14. März)

Es gab keine deutsche Atombombe. Er irrt. (Berliner Zeitung, 14. März)

Wissenschaftler: Letzter Beweis für «Hitlers Bombe» fehlt (ddp, 15. März)

Karlschs Bombe … Der Historiker Rainer Karlsch provoziert mit Thesen, die er kaum halten kann; Sendung mit der Maus (N24, 15. März)

Karlsch, ein – wie man so sagt – «abgewickelter»… schloss daher einen Pakt mit dem Teufel: mit Fernsehproduzenten und einem skrupellos agierenden Buchverlag (Die Zeit, 17. März)

Hitlers angebliche Nuklearwaffe (Süddeutsche Zeitung, 15. März)

Dubioser Buchautor, der geschickt die PR-Maschinerie am Laufen hält (Süddeutsche Zeitung, 5. März)

Artikel 4: Zeit-Fragen Nr.13 vom 29.3.2005, letzte Änderung am 30.3.2005

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