Karlschs Bombe – vom 15.03.2005

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Quelle: http://www.n24.de/politik/hintergrund/index.php/n2005031507571500002

15. März 2005

Karlschs Bombe
Von Ronald Düker

Kaum liegt das Buch „Hitlers Bombe“ gleich stapelweise in deutschen Buchhandlungen aus, ist der Titel schon ein Riesenerfolg. Nicht, weil die Thesen, die der Berliner Historiker Rainer Karlsch darin zur nationalsozialistischen Kernwaffenforschung formuliert, auf allgemeine Anerkennung gestoßen wären. Ganz im Gegenteil. In den großen Zeitungen hat sich der Autor gleich reihenweise die verdienten Watschen abgeholt.

Ein Erfolg ist das Buch allein, weil es überall der Aufmerksamkeit für wert befunden wird. Man darf der Deutschen Verlags-Anstalt also schon jetzt zu einem Marketingerfolg gratulieren, und darauf wetten, dass die einmal angeworfene Aufregungsmaschine auch gehörig die Kassen klingeln lassen wird.

Sendung mit der Maus
Dabei ist der Etikettenschwindel, dem „Hitlers Bombe“ ihren Einschlag in der Medienlandschaft verdankt und dem Verlag den kalkulierten Erfolg bescheren soll, so plump wie dreist. Die Buchpräsentation, die die DVA – gar nicht unbescheiden – am Montag im Gebäude der Bundespressekonferenz veranstaltete, trug nichts dazu bei, die allenthalben geäußerten Bedenken an Karlschs Machwerk zu zerstreuen. Autor und Verleger ergriffen vielmehr die Gelegenheit, sich um Kopf und Kragen zu reden.

Zwei eigens aus Übersee eingeflogene Wissenschaftler sollten die offenkundigen inhaltlichen Widersprüche kraft ihrer akademischen Reputation wohl kaschieren helfen. Der 1929 in Deutschland geborene und in den Vereinigten Staaten zu wissenschaftlichen Ehren gekommene Physiker Professor Friedwardt Winterberg demonstrierte, mit farbigen Filzstiften und einer Tafel ausstaffiert, die Funktionsweise von Atombomben – eine für Laien mehr oder minder nachvollziehbare Sendung mit der Maus für Erwachsene.

Das Unerwartete
Zur Verblüffung der Journalisten führte Professor Mark Walker indes das inhaltliche Versprechen, das Karlschs Buch schon im Titel trägt, gleich in seinem ersten Kommentar ad absurdum. „Es gab keine deutsche Atombombe“ verkündete der Wissenschaftshistoriker – sondern allenfalls den Versuch, eine solche zu bauen. Dieser Versuch erscheine ihm aber wichtiger als das tatsächliche Ergebnis.

Wie bitte? Schreibt denn Karlsch nicht, dass die bislang immer negierte Frage nach der Existenz einer deutschen „Atombombe“ einer „Neubewertung“ unterzogen werden müsse – und heißt das nicht ganz schlicht: Ja, die Nazis verfügten über eine Atombombe? Steht nicht unübersehbar schon auf dem schwarzen Umschlag des Buches, dass „deutsche Wissenschaftler 1944/45 auf Rügen und in Thüringen nukleare Bomben“ getestet haben sollen – und zwar um den Preis des Lebens mehrerer hundert Kriegsgefangener?

Und hatte der Verleger Jürgen Horbach den Journalisten nicht gerade noch verkündet, Karlschs Buch leiste das „Unerwartete“ – indem es der vermeintlich völlig erforschten Geschichte des Nationalsozialismus etwas überraschend Neues hinzufüge, eine Sensation also, und das noch dazu auf der Grundlage bislang unbekannter historischer Quellen? Muss am Ende nicht etwa die bis heute abgestrittene Existenz einer deutschen Atombombe einer „Neubewertung“ unterzogen werden, sondern vielmehr die begriffliche Bestimmung dessen, was eine Atombombe überhaupt ist?

Der Todgeweihte spricht die Wahrheit
Karlschs These: Nicht Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg seien die entscheidenden, oder sagen wir: gefährlichsten Repräsentanten der nationalsozialistischen Kernwaffenforschung gewesen. In ihrem Schatten habe sich vielmehr eine Gruppe bislang weniger prominent gehandelter Wissenschaftler am Bau einer Atombombe versucht, um den Kriegsverlauf noch in den letzten Tagen zu deutschen Gunsten zu wenden.

Walther Gerlach, Kurt Diebner und Erich Schumann seien in diesem Bestreben weiter gekommen, als bisher angenommen. Nicht nur, dass sie im Umland von Berlin einen Atomreaktor zum Laufen gebracht hätten – zweimal, nämlich auf Rügen und im thüringischen Ohrdruf, sei ihnen auch ein erfolgreicher „Kernwaffentest“ gelungen.

Insbesondere zu letzterem kolportiert Karlsch atemberaubende Zeitzeugenberichte. Man kennt dieses Muster aus tausendundeinem Film – der Todgeweihte haucht mit bereits versagender Stimme einen bruchstückhaften aber zweifellos wahren Bericht über ein mysteriöses Verbrechen aus. Er setzt damit den Racheengel, den Kommissar, oder in diesem Fall den Historiker in die Spur: „Ein Zeuge“, so heißt es bei Karlsch, „hatte angeblich noch die letzten Worte eines sterbenden Kriegsgefangenen im Ohr: ‚Feuer, viele sofort tot, von der Erde weg, einfach nicht mehr da, viele mit großen Brandwunden, viele blind.“

Russen in Ohrdruf
Ganz erstaunlich, dass der „Lichtblitz“, der am 3. März 1945 die thüringische Landschaft erhellt und durch seine tödliche Strahlung gleich Hundertschaften dahingerafft haben soll, nicht in die Geschichtsbücher eingegangen ist und erst jetzt auf der Grundlage von Zeitzeugenberichten und lange verschollenen Akten, vorzugsweise aus russischen Archiven, rekonstruiert werden muss. Strahlenmessungen vor Ort scheinen hingegen eine wissenschaftlich fundiertere und daher glaubwürdigere Methode zu sein. Die müssten nach der so genannten Prompte-Gamma-Methode vorgenommen werden, ein kostspieliges Verfahren, dass sich Karlsch aber nicht leisten konnte oder wollte.

Bruno Keyser, Professor an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig, wird solche Messungen nun vornehmen, und noch in diesem Jahr ist mit Ergebnissen zu rechnen. Diese Ergebnisse könnten Karlschs These unter Umständen falsifizieren: Sie wären nämlich in der Lage, insofern eine erhöhte Strahlung in Ohrdruf gemessen würde, deren Quelle zu datieren. Neben einem Kernwaffentest aus dem Jahr 1945 käme auch die rote Armee als Urheber von radioaktiver Strahlung in Betracht. Die Sowjets hatten in Ohrdruf nach dem Krieg ein Übungsgelände unterhalten und womöglich ebenfalls mit nuklearem Material hantiert.

Das Nuklear-Tabu
Nach dem angeblichen Test auf Rügen befragt, erzählt Karlsch den Journalisten: Ja, es gab diesen Test – nein, nachweisen kann man ihn kaum, denn das Gelände am Ostseestrand ist sandig, hier halten sich radioaktive Spuren besonders schlecht. Überhaupt scheint dies das vorherrschende Argumentationsmuster zu sein – in Karlschs Buch und auf der Pressekonferenz. Ohne mit der Wimper zu zucken wird ein behauptetes Faktum (‚Hitlers Bombe‘) einfach verneint (‚Es gab keine deutsche Atombombe‘) oder großzügig an Begrifflichkeiten herumgedoktert.

Wenn es also keine Atombombe war, die damals in Deutschland entstanden sein sollte, dann doch immerhin eine Kernwaffe, schließlich war wohl schwach angereichertes Uran im Spiel. Und überhaupt – so beschwert sich Karlsch – sei der Begriff „nuklear“ gerade in Deutschland mit einem überflüssigen Tabu behaftet. Wahlweise bringen der Autor und Walker also offenbar beliebige Vergleiche mit einer „Atomgranate“ oder modernen „Mini-Nukes“ ins Spiel.

Wirklich gefährlich hätten die Atomwaffen aus Deutschland nicht werden können, kriegsentscheidend schon gar nicht: Eine nukleare Kettenreaktion, die die Bomben von Nagasaki und Hiroschima ausgelöst hatten, sei in den deutschen Waffen, die nach einem völlig anderen Prinzip funktionierten, keinesfalls abgelaufen, stattdessen ein so genanntes „fizzlen“, bei dem durch eine Explosion radioaktive Spaltprodukte freigesetzt wurden. Einen Bauplan der Waffe, zu der Karlsch sein über 400-seitiges Buch vorgelegt hat, konnte der Historiker nicht ausfindig machen.

Skrupelloser als gedacht
Kurzum: Wenn Karlsch Recht hat, dann haben deutsche Wissenschaftler kurz vor Kriegsende eine relativ ungefährliche nukleare Waffe entwickelt, die den Begriff Atombombe nicht verdienen soll. Wenn er Recht hat, ist diese Waffe zweimal getestet worden. Für Mark Walker kommt es aber gar nicht so darauf an. Er hält ohnehin den Versuch wichtiger als das Ergebnis, und die von Karlsch behaupteten erfolgreichen Tests erscheinen ihm allenfalls „plausibel“.

Walker interessiert etwas anderes: Dass nämlich deutsche Wissenschaftler offenbar keine Vorbehalte hatten, eine kriegstaugliche Atomwaffe zu entwickeln – also so gar nicht jener Einschätzung entsprachen, die die Geschichtswissenschaft bislang insbesondere den Starphysikern von Weizsäcker und Heisenberg zugute gehalten hatte. Von ihnen heißt es, sie hätten die deutsche Kernwaffenforschung aus moralischen Gründen hintertrieben und verschleppt.

Letzte Bitte
Hört, hört! So gemein und menschenverachtend waren die Nazis dann also doch. Wie Amerikaner und Russen auch planten sie nukleare Waffen, mit denen unschuldige Menschen im Krieg getötet werden sollten. Soll etwa dies der zentrale Erkenntnisgewinn von „Hitlers Bombe“ sein, das großspurig versprochene „Unerwartete“ und Neue?

Am Ende der Veranstaltung scheint immerhin den Verleger noch eine kleine Panik vor den erwartbar missmutigen Reaktionen der Journalisten angeflogen zu haben. Als sei ihm erst gerade zu Bewusstsein gekommen, dass in Sachen Wissenschaftlichkeit hier nicht alles zum Besten steht, bat er die anwesenden Schreiber, sich doch nicht ausschließlich auf die technologischen Spezialaspekte des Buches zu konzentrieren. Schließlich zeige der Autor auch eine Reihe sehr interessanter historischer Querverbindungen auf. Nun gut, Herr Horbach, man wird „Hitlers Bombe“ wohl einer grundsätzlichen „Neubewertung“ unterziehen müssen.

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