Kubrick lässt grüßen – Filmleute im Tal – vom 05.09.2003

>So kommt es also, dass die Filmleute gestern Mittag über die Schießsportanlage in Suhl-Friedberg spazierten. Oder von Hauptmann Andreas Müller am Rande des Truppenübungsplatzes Ohrdruf zu den verbauten Stollen im Jonastal geführt wurden. Mit kühler Geste machen die Filmschaffenden Fotos. Als Müller dann Anekdoten über Nazigold, Bunker und Wunderwaffen erzählt, werden ein paar mehr Fotos geschossen. Einer fragt: Wie ist das mit dem Bernsteinzimmer? „Die erste Hälfte ist in meinem Büro“, scherzt Müller, „die zweite Hälfte beim Kommandanten.<

aus der TA vom 05.09.03 – komplett -> Kubrick lässt grüßen

Natürlich wird aus Thüringen kein Hollywood. Selbst die Studios in Babelsberg sind drei Nummern zu groß. Dennoch wird im Land immer wieder einmal gedreht, wenn man es den Filmleuten nur schmackhaft verkauft. Jetzt war wieder eine Gruppe von Regisseuren, Drehbuchautoren und Szenenbildnern unterwegs. Ihre „Location Tour“ stand unter den Stichworten Spionage, Kunstraub, Dopingskandal. Gute Reise!

Spät am Abend, als im romantischen Gundermannhaus der Schweinebraten verzehrt ist und die Filmleute schon fast in den Schlaf gefallen sind, da öffnet Jan Schlubach sein Schatzkästchen der Weisheiten. Im Hintergrund dieses uralten Försterhauses in Dörrberg spielt die Zither leise jene Melodie von Anton Karas, die durch den Streifen „Der Dritte Mann“ berühmt wurde. Jan Schlubach nippt am Rotwein, die Filmleute lauschen. Immerhin ist der 83-Jährige ein Star der Branche. Nicht nur, weil er Bundesvorsitzender der Filmarchitekten ist, sondern weil er mit dem legendären Stanley Kubrick „ein paar Filme“ gemacht hat. Was für eine Untertreibung; es sind Klassiker wie „Barry Lyndon“ oder „Shining“. Für Kubrick also, so berichtet es Jan Schlubach, gab es eine Prioritätenliste der Filmarbeit: Wichtigster Mann ist der Regisseur, dann der Drehbuchautor und danach der Filmarchitekt.

Ob sich die Liste bis Leipzig herum gesprochen hat, ist möglich. Die dort ansässige MDM, die Mitteldeutsche Medienförderung GmbH, weiß jedenfalls, wie sie die Filmmenschen umgarnen muss. Einmal im Jahr lädt die MDM, deren Gesellschafter die Länder Thüringen (Jahresbeitrag 1,2 Millionen Euro), Sachsen-Anhalt, Sachsen, das ZDF und der mdr sind, zur Visite der Geberländer ein. Dabei sollen Regisseuren, Autoren und Szenenbildnern Gegenden vorgestellt werden, die sich für Film- oder TV-Produktion eignen. Zum ersten Mal führte die so genannte Location Tour ausschließlich nach Thüringen; mit den Worten Spionage, Kunstraub und Dopingskandal überschrieben.

Dass man da nur bedingt die Schönheiten des Landes zeigen kann, hat die MDM eingeplant. Alte Kirchen, Burgen oder Rathäuser gibt es überall, sagt Organisatorin Bea Wölfling. Der Thüringer MDM-Landesbeauftragte, Johannes Selle, sieht es noch nüchterner: „In München oder Berlin, wo die großen Studios sind, hat man alles vor der Haustür.“ Wie das Thüringer Land indes eine Marktlücke finden kann, glaubt Bea Wölfling zu wissen: „Wir zeigen Anlagen, die sich so in einem Studio nicht oder nur mit großem Aufwand nachbauen lassen.“

So kommt es also, dass die Filmleute gestern Mittag über die Schießsportanlage in Suhl-Friedberg spazierten. Oder von Hauptmann Andreas Müller am Rande des Truppenübungsplatzes Ohrdruf zu den verbauten Stollen im Jonastal geführt wurden. Mit kühler Geste machen die Filmschaffenden Fotos. Als Müller dann Anekdoten über Nazigold, Bunker und Wunderwaffen erzählt, werden ein paar mehr Fotos geschossen. Einer fragt: Wie ist das mit dem Bernsteinzimmer? „Die erste Hälfte ist in meinem Büro“, scherzt Müller, „die zweite Hälfte beim Kommandanten.“

Man muss nicht jeder Legende glauben, die sich als Filmstoff eignet.

Ob sich die gezeigten Ziele als Drehorte eignen, bleibt vorerst offen. Niemand will sich in die Karten schauen lassen. Diana Becht-Zwetkov von der Erfurter Firma Avida kann sich zumindest vorstellen, in der Forschungsbibliothek Gotha zu drehen: „Für einen Dokumentarfilm suche ich dringend eine Bücherei.“ Die Drehgenehmigung sei natürlich kein Probleme, erklärt Bibliotheksleiter Robert Schaab. Hinderlich seien eher die Räume von Schloss Friedenstein. Ein japanisches Filmteam war vor drei Wochen geringfügig erschüttert, weil es keinen Lift gibt, um die Technik zu transportieren. Der Dreh dauerte etwas länger, schmunzelt Schaab: „Die mussten ihren Flug umbuchen.“

Innerhalb von 24 Stunden, so verkündet es nebenan Museumsleiter Bernd Schäfer, werde auch hier die Dreherlaubnis erteilt. Völlig neu sei der Umgang mit Filmern nicht. Das Schloss musste in der DDR schon als Ersatz für Coburg herhalten.

Dass die Drehgenehmigungen leicht gewährt werden, sei ein Pluspunkt. Die MDM, sagt deren Pressesprecher Thomas Große, habe bei den gezeigten Objekten stets darauf geachtet, dass sie sich in öffentlicher Hand befinden. Die zuständigen Behörden sind in einer Mappe aufgelistet. Manchmal freilich ist das eine Nebensache. Bei so viel Landschaft darf die Küche nicht fehlen. Auf der Burg Maienluft in Wasungen gibt es Klöße und Wildschwein.

Selbst wenn sich hier jemand den Bauch bequem vollschlägt, die Kosten der Reise zahlen sich aus. Thomas Große verweist gern auf das Vorjahr, als es nach Görlitz ging. Im Juni fanden dort Dreharbeiten für eine Neuverfilmung des Klassikers „In 80 Tagen um die Welt“ statt, in dem Jackie Chan und Arnold Schwarzenegger mitspielen. Ganze 15 Filmminuten zeigen Görlitz, das als Kulisse für Paris dient.

Die MDM tritt daneben als Sponsor für Filme auf. Rund 12,5 Millionen Euro wurden seit der Gründung vor fünf Jahren ausgegeben. Nicht ohne Stolz nennt Johannes Selle als Beispiel den Trickfilm „Der kleine Eisbär“, der sich mittlerweile auch kommerziell auszahle. Erst vor drei Tagen beschlossen wurde indes die Beteiligung an der Verfilmung eines Buches von Imre Kertész. „Fateless“ ist Titel des Streifens, dem der „Roman eines Schicksallosen“ zu Grunde liegt. Gedreht wird im Herbst in Buchenwald.

Jan Schlubach einstweilen fand keine zündende Idee für ein Projekt. Gewiss, der englische Park von Schloss Altenstein war atemberaubend: „Aber wer dreht heute noch großartige Literaturverfilmungen?“

05.09.2003 Von Karsten JAUCH

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