Von des Kaisers Truppen bis zur Bundeswehr – vom 02.09.2003

Reportage vom 02.09.2003 Autor: Obergefreiter Christian Sommer – Redaktion SKB

Ohrdruf – Kaum ein Standort der Bundeswehr ist so sagenumwoben wie der Truppenübungsplatz Ohrdruf in Thüringen: Gerüchten zufolge sollen auf dem Gelände Atom- und V-Waffen der Nationalsozialisten unter strengster Geheimhaltung entwickelt worden sein. Sogar das verschwundene Bernsteinzimmer wurde dort vermutet (www.streitkraeftebasis.de berichtete). Bisher konnte jedoch nichts dergleichen bewiesen werden.

Truppenübungsplatz mit Geschichte
Tatsächlich ist die Geschichte Ohrdrufs einmalig. Schon Ende des 19. Jahrhunderts übten Truppen des Kaisers auf dem Manövergelände. 1906 gab der Preußische Reichstag dem „Gesuch der Stadt Ohrdruf wegen Einrichtung eines Truppenübungsplatzes“ statt. Es folgte der Aufbau von Baracken und Unterkünften. Während des Ersten Weltkrieges wurden eine Reihe von Linien-, Reserve- und Landsturmverbänden auf dem Platz aufgestellt. Er diente auch als Kriegsgefangenenlager für französische Soldaten: Bis zu 17.000 Gefangene waren dort untergebracht. 1915 besuchte Kaiser Wilhelm II. den Truppenübungsplatz.

Während des Dritten Reiches, Mitte der 30er Jahre, fanden verdeckte Ausbildungen deutscher Kraftfahr-Lehrkommandos in Ohrdruf statt. Große Regimenter wurden aufgestellt – Ohrdruf wurde zur Panzerschmiede Deutschlands. Auch das geheimgehaltene „Amt 10“ entstand: Ein unterirdischer Bunker mit gasdichter Fernmeldeführungsanlage. Die 15-Tonnen-schwere, bruchsichere Betondecke sollte vor Luftangriffen schützen. Über Tage errichteten die Nationalsozialisten eine Kaserne und verbesserten den Gasschutz im Truppenlager. 1941 wurde Ohrdruf erneut als Gefangenenlager genutzt, diesmal für russische Soldaten. Mit Übernahme durch die SS im Jahre 1944 diente ein Teil des Platzes als Außenlager des KZ Buchenwald.

Am 5. April 1945 wurde der Truppenübungsplatz von der 4. amerikanischen Panzerdivision erobert, die ein Durchgangslager für entlassene russische Kriegsgefangene errichtete. Der spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower besuchte den Platz kurz darauf und wurde Augenzeuge der von den SS-Soldaten angelegten Massengräber.

Ab 1947 nutzte die russische Armee den Truppenübungsplatz, bis er dann 1991 an das Bundesverteidigungsministerium übergeben wurde. Im Dezember 1993 wurde der Platz von der Bundeswehr übernommen. Leicht war der Start für die Truppe jedoch nicht. Das Gebiet war schwer verwahrlost: Heruntergekommene Gebäude, Müllhalden, verseuchte Gewässer, kontaminiertes Gebiet und zahlreiche Blindgänger machten und machen die Aufräumarbeiten zu einem langwierigen Prozess.

Aufbauarbeit hat sich gelohnt
Mittlerweile kommen zahlreiche Verbände aus den Bundesländern Thüringen, Sachsen und Sachsenanhalt regelmäßig nach Ohrdruf und nutzen das fast 5.000 Hektar-große Gelände oder die acht computergesteuerten Schießbahnen. Ob mit Pistole, Handgranate oder sogar 120 mm Bordkanone des Panzer Leopard – auf dem Platz sind die Kapazitäten für jegliche Übungen vorhanden. Und sie werden sogar noch erweitert: Zwei hochmoderne Schießanlagen sollen folgen. Hauptsächlich sind jedoch Einheiten der schweren und leichten Infanterietruppe auf dem Gelände wiederzufinden – also Panzeraufklärer, Panzergrenadiere, Jäger, Kampfunterstützer, Pioniere und Logistiker.
Der Kommandant des Truppenübungsplatzes, Hauptmann Andreas König, ist stolz auf die geleistete Aufbauarbeit. „Wir haben hier mit weniger als Null angefangen. Heute hat die Truppe die Möglichkeit, das Gelände ausgiebig und sicher zu nutzen.“ Zu den Besonderheiten des Platzes gehören unter anderem ein geringer Waldanteil von nur 25 Prozent, ein zwölf Hektar-großer See, einige alte Bunkeranlagen und ein Luftlandeplatz. In der Kaserne des Platzes können 500 Soldaten untergebracht werden – in Zukunft sogar 650. Somit herrscht ständig reger Betrieb auf dem Gelände. Sogar die niederländischen Streitkräfte haben sich angemeldet, um in Ohrdruf zu üben. „Es freut mich, dass selbst unsere Verbündeten hierher kommen. Das spricht für unseren Platz“, so Hauptmann König. Nicht nur die Streitkräfte profitieren von den optimalen Bedingungen in Ohrdruf: Polizei, Bundesgrenzschutz, Zoll und auch Schützenvereine üben hier den Umgang mit der Waffe.

Zudem ist das Verhältnis zu den Anwohnern ausgesprochen gut. Hauptmann König: „Die Gemeinde sieht es als äußerst positiv an, dass sich die Spuren der Geschichte hier wiederfinden lassen.“ Auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes befindet sich seit dem Ersten Weltkrieg ein französischer Soldatenfriedhof, der 1998 wieder hergerichtet wurde. Nach umfangreichen denkmalpflegerischen Arbeiten wurde im Jahre 2000 eine Grabstätte feierlich eingeweiht, die an die zahlreichen Toten aus dem KZ Buchenwald erinnert. 2002 folgte eine Zweite. Auch ein Denkmal aus der Zeit, in der russische Einheiten in Ohrdruf stationiert waren, ehrt die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Die Kommandantur des Truppenübungsplatzes bemüht sich sehr um die Pflege dieser Denkmäler und wird dabei tatkräftig von der Stadt Ohrdruf und der Standortverwaltung Erfurt unterstützt.

Im Jahr 2006 wird das 100-jährige Bestehen des Truppenübungsplatzes gefeiert. Um die Zukunft muss sich Hauptmann Andreas König dabei keine Sorgen machen: Übten 1997 noch 5.000 Soldaten auf dem Platz, so waren es letztes Jahr schon fast 15.000 – Tendenz steigend. Und der Thüringer Innenminister Andreas Trautvetter unterstrich bei einem Besuch im Februar: „Das Land Thüringen steht voll hinter dem Truppenübungsplatz in Ohrdruf.“

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