Hitlers Bombe – heftiger Streit um Buch des Wirtschaftshistorikers Rainer Karlsch – vom 15.03.2005

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Quelle: Freies Wort am 15.03.2005

Hitlers Bombe – heftiger Streit um Buch des Wirtschaftshistorikers Rainer Karlsch
Zündstoff für die Wissenschaft

VON ULRIKE VON LESZCZYNSKI
BERLIN – Die These klingt nach Zündstoff für die Wissenschaft: Deutsche Physiker bauten und testeten im Dritten Reich eine Atomwaffe – behauptet der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch in seinem Buch „Hitlers Bombe“. Bereits vor der Präsentation gestern hatte die Publikation, vom Verlag als „Sensation“ angekündigt, für Aufsehen gesorgt. Bringt das Buch Licht in ein geheimnisumwittertes Kapitel des Zweiten Weltkriegs?
Historiker und Physiker wollen daran nicht so recht glauben. Karlsch biete zwar neue Fakten, schieße in seiner Interpretation aber über das Ziel hinaus.

Was wäre gewesen, hätte Hitler die Atombombe besessen? Glaubt man Rainer Karlsch, ist dieses Szenario kein Hirngespinst. Deutschen Wissenschaftlern gelang im Herbst 1944, ein Dreivierteljahr vor den Amerikanern, die Freisetzung der Kernenergie, schreibt er im Buch. Die „Mini- Atombombe“, die sie für Hitler bauten, sei sogar erfolgreich getestet worden – im März 1945 in Ohrdruf in Thüringen.

Deutsche Medien haben die Bombentheorie des Buchs bereits für sich entschärft. Karlsch könne seine Thesen nicht beweisen, heißt es. „Die NS-Forschung ging in Richtung einer einsatzfähigen Kernwaffe“, verteidigt sich Karlsch. Die Waffe habe aber nicht die Sprengkraft der Bomben auf Hiroshima oder Nagasaki gehabt. „Atomgranate“ nennt der Autor seine Entdeckung. „Das darf man nicht verharmlosen.“

„Rainer Karlsch ist kein Spinner“, betont Dieter Hoffmann vom Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. „Er hat wichtige Mosaiksteine für die Forschung zusammengetragen. Und er ist auch der erste, der durch große Zähigkeit russische Quellen aufgeschlossen hat“. Doch bei der Hauptthese von „Hitlers Bombe“ will Hoffmann nicht mitgehen. „In Deutschland wurde 1938/39 die Uranspaltung entdeckt. Dass hier auch die erste Atombombe gezündet wurde, erscheint mir als unglaubwürdig.“

Viele Spekulationen

Gerd Fußmann, Physiker an der Berliner Humboldt-Universität, ist auch nicht völlig überzeugt: „Man weiß einfach nicht, wie die deutsche Versuchs-Bombe beschaffen war, die in Thüringen gezündet wurde. Es gibt dazu nur Aussagen von Laien und Spekulationen. Darum werden auch weiterhin erhebliche Zweifel bestehen, ob es sich wirklich um eine Kernwaffe gehandelt hat.“ Und doch hat das Buch den Physiker in vielen Punkten überrascht. „Neu für mich war, dass es im Süden von Berlin einen Kernreaktor gegeben hat“, sagt er. Heutige Bodenproben ließen darauf schließen, dass dort eine Kernspaltung stattgefunden habe: „Das zeigt, dass mehr spaltbares Material und Kenntnisse vorhanden waren, als bislang angenommen.“

Bisher hat sich die Forschung über Atomwaffen in der NS-Zeit stark auf den Physiker Werner Heisenberg focussiert. Karlschs Verdienst ist es, den Blick auf andere zu lenken, die sich weit mehr mit Militärtechnik beschäftigten. „Die Gruppe um Kurt Diebner vom Heereswaffenamt scheint hinsichtlich der Atomwaffenentwicklung weiter gewesen zu sein, als man bisher glaubte“, sagt Hoffmann.

Physikalisch gibt das, was die NS-Atomphysiker als Waffe erdachten, weiter Rätsel auf. Denn selbst für eine Mini-Bombe“ braucht man hochangereichertes Uran 235. „Die Bodenproben lassen den Schluss zu, dass es den NS-Forschern wirklich gelungen ist, zehn Prozent angereichertes Uran 235 herzustellen“, sagt Physiker Fußmann. Für eine Bombe seien aber 80 Prozent Anreicherung nötig.

Russische Spionage

Die erste Atombombe wurde wahrscheinlich im Sommer 1945 von den Amerikanern in der Wüste von New Mexico gezündet. Die Russen, die 1945 deutsche Atom-Unterlagen konfiszierten, waren auf die Erkenntnisse zwar neugierig, aber nicht angewiesen. „Sie besaßen 10 000 Seiten Spionagematerial über den US-Atomwaffenbau“, so Fußmann. Das klingt nicht danach, als müsste die Geschichte des Kalten Krieges umgeschrieben werden.

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