Hitlers Salonwagen gefunden im Thüringer Ort Crawinkel
Der legendäre Eisenbahnwaggon von Compiegne endete in Thüringen

Crawinkel (dpa/th) Das langjährige Rätselraten über die letzte Station des legendären Eisenbahnwaggons von Com-piegne hat ein Ende. Der Salon-Waggon, in dem während des ersten und zweiten Weltkrieges zwei Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wurden, gelangte im Frühjahr 1945 bis knapp vor seinen geplanten „Endbahnhof“ im Jonastal in Thüringen, wo sich Hitler ein Führerhauptquartier bauen ließ, das er allerdings nicht mehr nutzten konnte.

Nachdem 1918 in dem Wagen auf einer Waldlichtung bei der französischen Ortschaft Campiegne Deutschland mit den Alliierten des ersten Weltkrieges den Waffenstillstandsvertrag unterzeichnen mußte, forderte Adolf Hitler im Juni 1940 „Revanche“ und ließ Frankreich am selben Ort und im selben Salonwagen ein Waffenstillstand-sabkommen unterzeichnen, in dessen Ergebnis drei Fünftel des Landes unter direkte deutsche Kontrolle kamen.

Die neuen Erkennmisse über die letzte Station des historischen Wagens sind vor allem älteren Einwohnern von Crawinkel zu verdanken, die nach dem Ende der SED-Herrschalt in der Ex-DDR auch keine Angst mehr vor lauten Erinnerungen an unrühmliche Kapitel der deutschen Geschichte haben. Bislang war davon ausgegangen worden, daß der Waggon, den Hitler als „Trophäe“ des Sieges Deutschlands über Frankreich „heim ins Reich“ führte, durch einen Luftangriff „irgendwo“ auf der Strecke zwischen Berlin, wohin der Wagen noch 1940 gebracht worden war und Thüringen ausbrannte.

Doch alte Crawinkler wie der heute. 76jährige Paul Ostermann haben den Wagen im Frühjahr 1945 unversehrt auf einem ehemaligen Nebengleis in ihrem Ort in der Nähe des Jonastales gesehen. „Die Wipfel der Bäume waren zusammengebunden, damit man den Wagen von der Luft aus nicht sehen konnte“, erinnert sich der ehemalige Lehrausbilder, der während des Krieges in einem Gothaer Rüstungs-betneb arbeitete. Zum Kriegsende sei der Waggon jedoch ausgebrannt. Ältere Bürger aus der Gegend hatten die Vernichtung des Waggons durch die SS beobachtet. Dies deckt sich mit Erkenntnissen des französischen Eisenbahnhistorikers Jean des Cars. wonach die SS auf ausdrücklichen Befehl Hitlers den Wagen sprengte. Ein Zeuge nennt als Zeitpunkt die Tage zwischen dem 1. und 3. April.

Viel sei von der Eisen- und Holz-kontruktion nicht übriggeblieben, erzählt Paul Ostermann. Doch einige Leute der Umgebung hatten noch „allerhand Gegenstände“ von dem Wagen. Er selbst hat einen kupfernen Buchstaben aus der Wagenbeschriftung, der zur Zeit in Frankreich auf seine Echtheit überprüft werden soll. Der Waggon, von dessen Resten der Bedarf an fast Allem nach Kriegsende nichts mehr übriggelassen hat – Ostermann fertigte beispielsweise Beschläge für seine Haustür aus Teilen des Kupferbleches – ist nur ein einzelnes Zeugnis, der un-aufgearbeiteten Geschichte in den Wäldern um Crawinkel. Mehr als ein Dutzend Bunker und Reste der „Muna“, einer ausgedehenten „Munitionsanstalt“, in der Bomben und Flakmunition für die Luftwaffe hergestellt wurden, modern vor sich hin.

Am meisten orakelt wird jedoch über das unterirdische Bunkersy-stern in den Bergen des Jonastales zwischen Crawinkel und Arnstadt, das Hitler als neues Führerhauptquartier ausschachten ließ und dessen Eingang beim Anrücken der Amerikaner gesprengt worden sein soll. Vermutet wird, daß sich der Bunker auf 2,5 Kilometer Länge durch den Berg ziehen sollte. Nach Wissen Paul Ostermanns seien etwa 1.5 Kilomter fertig gewesen. Auch von einem „Schatz“ wird gemunkelt, der dort versteckt sein soll. Dabei werden das seit Jahrzehnten gesuchte Bernstemzimmer genauso gehandelt wie rindere Kunstschätze oder das Reichsarchiv. Genaue Untersuchungen werde es aber wohl erst geben können, wenn die Sowjets, die noch bis Ende des Jahres auf weiten Teilen des Geländes stationiert sind, abgezogen sind.

Kaum noch Spuren in den Wäldern gibt es hingegen von den vielen geschundenen Häftlingen, die im Außenlager des etwa 70 Kilometer entfernten Konzentrationslagers Buchenwald eingesperrt waren und vor allem für die Arbeiten am Führerhauptquartier herangezogen wurden.

(c) STZ am 11.06.1991 von dpa-Korrespondentin Anett Indyka

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