Ohrdruf – Hiroshima – Nagasaki? – vom 31.10.2005

Quelle: www.zeit-fragen.ch

Ohrdruf – Hiroshima – Nagasaki?
Verblassende Erinnerung bedeutet akute Gefahr*
von Dr. Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz e.V., Berlin

Wer weiss, wo Ohrdruf liegt? Ohrdruf ist ein kleiner Ort in Thüringen in einer Gegend, die eher durch die Bach-Familie bekannt wurde als durch den dortigen Truppenübungsplatz und folgende Geschichte: Anfang des Jahres erschien das Buch «Hitlers Bombe», geschrieben vom Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch. Bemerkenswert ist sowohl der Inhalt des Buches als auch die harsche Abwehr seiner Thesen durch Historiker und Journalisten.

Es geht darum, mit welcher Begeisterung die deutsche technische Elite flächendeckend an Universitäten, in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, bei Marine, Luftwaffe, Heer und SS bis zum letzten Moment an verschiedenen waffentechnischen Spitzenprodukten gearbeitet haben. Die vielfach berichtete vornehm-listige Verweigerung von Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg – stellvertretend für viele ihrer Kollegen – wird in den Bereich von Lüge und Legende verwiesen.

Die grössten Aggressionen gegen den Autor wurden durch seine These ausgelöst, dass es in Deutschland kurz vor Kriegsende auf dem Truppenübungsplatz bei Ohrdruf zum Test einer wie auch immer konstruierten Atombombe kleinen Kalibers gekommen sei. Die These ist nicht neu, wurde aber von Karlsch erstmals im Rahmen einer historisch-wissenschaftlichen Analyse aufgestellt.

Einer der Augenzeugen berichtete:

«Am Nachmittag fuhr die SS mit LKWs vor. […] Wir mussten alles Holz, das verfügbar war, aufladen. Die Fahrt ging dann nach Röhrensee, dort waren einige SS-Ärzte tätig, da eine grosse Anzahl von Bewohnern Kopfschmerzen hatte und Blut spuckte. Wir waren dort falsch und wurden sofort nach Gut Ringhofen bei Mühlberg gebracht. Dort wurde uns gesagt, wir müssen Holzhaufen am Waldrand errichten, etwa 12 x 12 m und nur höchstens 1 m hoch, dazu mussten wir Vollschutz tragen, auch unsere Häftlinge.

Am Waldrand sahen wir schon einige Haufen von Menschenleichen, die wohl ehemalige Häftlinge waren. Die Menschen hatten alle absolut keine Haare mehr, teils fehlten Kleidungsteile, sie hatten aber auch zum Teil Hautblasen, Feuerblasen, nacktes rohes Fleisch, teilweise waren einige Teile nicht mehr vorhanden. SS und Häftlinge brachten die Leichen an.

Als wir die ersten sechs Haufen fertig hatten, wurden die Leichen daraufgelegt, je Haufen etwa 50 Stück, und Feuer gelegt. Wir wurden zurückgefahren. Im Gut mussten wir den Schutz und unsere gesamte Kleidung ausziehen. Diese wurde ebenfalls sofort von der SS angezündet, wir mussten uns waschen und erhielten neue Kleidung und neuen Schutz, dazu jeder eine Flasche Schnaps, auch unsere Häftlinge.

Ein hoher SS-Mann sagte mir, es habe da oben eine grosse Stichflamme gegeben gestern, man habe etwas Neues gemacht, davon wird die ganze Welt sprechen, und wir Deutschen sind die ersten. Leider sei dabei einiges nicht so gelaufen wie geplant und einige Nichtsnutze haben wir weniger.

Beim 2. Einsatz wurden nochmals drei Haufen errichtet. Dabei sahen wir, wie aus dem Wald einige völlig unmenschliche Lebewesen angekrochen kamen. Wahrscheinlich konnten einige nichts mehr sehen. – Pause – Ich kann es auch heute nicht beschreiben. Von zwei SS-Leuten wurden diese etwa zwölf bis fünfzehn Menschen sofort erschossen. Ob sie wirklich schon erschossen waren, kann ich nicht sagen, da einige doch noch den Mund bewegten. Sie wurden bzw. mussten von anderen Häftlingen auf die in Flammen stehenden Haufen getragen werden. […] Wir konnten an diesem und an den nächsten Tagen nichts essen, es gab für uns und die Häftlinge immer wieder Schnaps. Einer unserer russischen Häftlinge sagte uns, er habe einen der Erschossenen noch verstanden, […] grosser Blitz – Feuer, viele sofort tot, von der Erde weg, einfach nicht mehr da, viele mit grossen Feuerwunden, viele blind, Gruss an Mutter von Olek Barto nach Gurjew […]»

Es gibt noch ein paar Zeugenaussagen, aber natürlich keine notariell beglaubigte Urkunde mit den Unterschriften von Hitler und Himmler und den Namen der hier ermordeten 500 bis 700 Häftlinge. Aber es gibt zwei Berichte des russischen Militärgeheimdienstes aus Deutschland, die sofort auf den Tischen von Stalin und Molotow landeten, und der Vater der russischen Atombombe – Kurtschatov – musste umgehend dazu Stellung nehmen. Inhaltlich stimmen Zeitzeugen und Spionageberichte sehr weitgehend überein.

Historikerkollegen kritisierten das Buch, bevor sie es gelesen haben konnten. Scharfe Argumente gab es kaum – erklärlich ist der Eifer nur durch den Ärger, die neuen Quellen nicht selbst gefunden zu haben. Journalisten reagierten ähnlich, viele noch vor der Lektüre, ohne die zitierten Quellen zu kennen, unter Berufung auf die «klassische» Literatur zu dieser Frage.

Wir werden uns daran gewöhnen müssen: Die erste Erprobung einer Atombombe am Menschen fand wahrscheinlich am 3./4. März 1945 in Ohrdruf statt – dabei wurden versuchsweise und erfolgreich ein paar hundert Häftlinge ermordet.

Die hirnlose Servilität eines erheblichen Teils der deutschen technischen Intelligenz bis zum Ende des Dritten Reiches ist ein Schandfleck in unserer Geschichte, der nicht dadurch verkleinert wurde, dass viele dieser Experten nach Kriegsende ihre Kenntnisse den Amerikanern und den Russen zur Verfügung stellten. Vielleicht hilft die Beschäftigung mit dieser Zeit jungen Wissenschaftlern heute, ihre eigentlichen Aufgaben zu erkennen und sich unlauteren Anträgen der Mainstream-Wissenschaft und des Militärs so gut es geht zu entziehen…

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