Ohrdrufer Gespräch am Runden Tisch – Historikerstreit um Hitlers Bombe – vom 28.06.2005

Quelle: Freies Wort vom 28.06.2005 Zum Artikel

NS-GESCHICHTE Der Berliner Autor Rainer Karlsch stellte auf Einladung des Jonastalvereins sein Buch in Ohrdruf vor

Historikerstreit um Hitlers Bombe

VON HARTMUT ELLRICH
Einen Schlagabtausch über Hitlers angebliche Bombe lieferten sich am Wochenende der Berliner Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch und seiner Hannoveraner Kollege Rainer Fröbe. Gestritten wurde in Ohrdruf – unmittelbar neben dem historisch brisanten Boden des dortigen Truppenübungsplatzes.

OHRDRUF – Beide waren einer Einladung der Geschichts- und Technologiegesellschaft Großraum Jonastal gefolgt, um drei Monate nach Erscheinen von Karlschs Buch „Hitlers Bombe“ mit Wissenschaftlern und Fachbuchautoren vielfältigen Reaktionen des Buches zu diskutieren, die bislang im In- und Ausland geäußert wurden.

So hat der seit 2001 existierende Verein bis Samstag allein 4 000 Zugriffe auf sein Internetdiskussionsforum zu Karlschs Buch verzeichnen können, führte Projektleiter Klaus-Peter Schambach in die Diskussion an, der auch zur Sachlichkeit in den Äußerungen zur umstrittenen Frage mahnte, ob die Nationalsozialisten in Ohrdruf in den letzten Kriegstagen eine Atombombe gezündet haben oder nicht. Gerade eben diese Sachlichkeit habe jedoch bis zur Vorstellung seines Buches gefehlt, beklagte Rainer Karlsch. Sein Buch sei auch von Leuten kritisiert worden, die es gar nicht gelesen hätten. So habe es teilweise eine „total über zogene Erwartungshaltung“ gegeben.

Link zur Diskussion im GTGJ-Forum: Rainer Karlsch: Hitlers Bombe

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Karlsch äußerte sich zunächst zu den Entstehungshintergründen seines Buches. So sei er „erst über die Urangeschichte“ zu „Hitlers Bombe“ gekommen. Fragte er in seinem Buch „Urangeheimnisse“ noch, ob die Nazis in Thüringen 1945 Kernwaffen testeten, so bejaht er dies nun, urteilt der Historiker Wolfgang Schwanitz. Seine These „Ja, da ist was passiert“ bekräftigte Karlsch in Ohrdruf und verwies dabei neben den von der Forschung akzeptierten Moskauer Geheimdienstdokumenten des Experimentalphysikers und wissenschaftlichen Leiters des sowjetischen Atomprojektes Igor Kurchatov auf den wohl erstmals ausgewerteten Teilnachlass des Leiters der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes, Erich Schumann.

Während nach Ansicht Karlschs das erste und zweite Buchkapitel zum deutschen Uranprojekt und den Reaktorversuchen „wenig Kritikpunkte“ aufweise, sei es ihm im dritten Kapitel zum alternativen Kernwaffenkonzept darauf angekommen, aufzuzeigen, „dass an diesem Konzept seit 1943 gearbeitet wurde“. Allerdings lagerten wohl noch zahlreiche Patente der Gruppe Schumann, die den tatsächlichen Forschungsstand belegen könnten, für die Forschung unzugänglich in Privatarchiven. Auch habe man sich bisher nur auf große Namen wie Heisenberg oder Weizsäcker konzentriert und dürfe die Befangenheit in der Wissenschaftspolitik nicht unterschätzen. Mit Blick auf Kapitel vier und fünf („Kernwaffentests in Thüringen“ und „Nachklänge“) verwies der Autor darauf, dass ein mehr an schriftlichen Quellen bislang nicht drin sei.

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Bombe oder Granate

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Die These von der deutschen Atombombe, die Karlsch bei seiner Buchpräsentation im März aufstellte, war es, die nicht nur dort für kritische Reaktionen sorgte und das Missfallen der Fachwelt erregte. Auch in seiner abgeschwächten Form als „Atomgranate“ stieß seine Vermutung bei einem Teil der Ohrdrufer Zuhörer auf Ablehnung – umso mehr, als Karlsch eingestand, dass das anfängliche Messgutachten zu einer möglichen erhöhten Strahlenbelastung gestoppt wurde und letztlich auch keine flächendeckende Untersuchung des heutigen Truppenübungsplatzes möglich war.

Am eigentlichen „Test“ in Ohrdruf erhitzten sich die Gemüter. Während der langjährige Jonastalforscher Ulrich Brunzel noch vorsichtig auf „sehr problematische Aussagen“ hinwies, konfrontierte der Geologe Klaus Schöllhorn den Historiker Karlsch mit widersprüchlichen Angaben zum Hochsicherheitsbereich des Testgeländes und der Fragwürdigkeit der zitierten Zeugenaussagen. Der Historiker Rainer Fröbe, der sich eingehender mit der Person Hans Kammlers (seit 1944 „Beauftragter für Sonderbauten“, Chef des Heeresbauwesens und seit Ende März 1945 „Generalbevollmächtigter des Führers für Strahlflugzeuge“) befasste, wies schließlich auf zahlreiche falsche und fehlerhafte Quellenangaben und freie Interpretationen Karlschs hin.

Dennoch stößt „Hitlers Bombe“ trotz seines unglücklichen Titels auf internationales Echo. Während Russen und Amerikaner das Buch „zur Kenntnis“ nahmen, äußerten Physiker des amerikanischen Kernforschungszentrums Los Alamos Kritik. Doch gerade die brächte die Diskussion voran, sagte Karlsch. Wolfgang Schwanitz brachte es schließlich auf den Punkt: „Wenn Karlsch seine Forschungsergebnisse erhärten kann, dann ist ihm ein paradigmatischer Sichtwechsel in der Geschichte gelungen.

Rainer Karlsch: „Hitlers Bombe“. DVA 2005 – 24,90 Euro

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