RIESENINTERESSE – Jonastal-Vortrag wurde von Buchautoren in der Diskussion kritisch gesehen – vom 03.04.2004

Quelle: Freies Wort – Lokalteil Ilmkreis am 03.04.04

RIESENINTERESSE
Jonastal-Vortrag wurde von Buchautoren in der Diskussion kritisch gesehen

„Mehr geht wirklich nicht“, wird noch eine letzte Bank im menschengefüllten Gewölbekeller der Neideckruine aufgeklappt. Stühle vorn, Bankreihen hinten. Zwischen Vorraum und Ausgang müssen die letzten mit Stehplätzen Vorlieb nehmen: Das Thema Jonastal lockt zur 1300-Jahre-Vortragsreihe noch mehr, als sonst üblich.

ARNSTADT – Etwa 200 Zuhörer mochten es Donnerstagabend gewesen sein. „Das Jonastal – Fantasien und Fakten“ war angekündigt. Die Fantasien gab es. Um Führerhauptquartier, Bernsteinzimmer , Raketenproduktion griff Prof. Dr. Dieter Elbracht nahezu lückenlos alles auf. Dabei ließ er die Zuhörer nicht im Unklaren über seine Meinung. Von all dem hielt er nichts.

Um Fakten gegen die Argumentation anderer Darstellungen ausfindig zu machen, musste der Gast allerdings genau lauschen. Konnte Wochen zuvor zwar Autor Thomas Mehner seine Darstellungen zur Atombombenversion nicht beweisen, waren Elbrachts Gegenfakten nicht besser. Eine Präsentation Behauptung-Widerlegung durfte keiner erwarten. Mehners Vortrag allerdings war professioneller und fesselnder. Nach Elbrachts Rede nämlich verschwand schon ein Teil der Zuhörer, die Diskussion gar nicht mehr abwartend. Dies musste Mehner – trotz dreifacher Vortragszeit – einst nicht erleiden.

Bleibt die Entschuldigung, spektakuläre Ideen sorgen für mehr Aufsehen, als deren unspektakuläre Widerlegungsversuche. Mit Sicherheit! Doch Elbracht bot ein manchem Zuhörer schwer nachvollziehbares Herangehen an seine Argumentation, ließ dabei den Eindruck entstehen, mangels Recherche zum eigentlichen Thema in Randgebieten passendes gefunden zu haben. So knapste der Redner von der mit lediglich 60 Minuten vorgegebenen ohnehin schon knappen Vortragszeit einen Großteil für Nebenschauplätze ab: Da wurde über Baikonur berichtet, über Ulbrichts Beitrag zur Entspannung und Bilderfälschung der Stasi, bis hin zu nach dem Krieg erstellten Zeichnungen – allesamt keine Primär-Quellenforschung zum Jonastal.

Und Argumente gegen alle Fantasien wirkten wenig überzeugend: Da wurde versucht, anhand des Raketenstartunglücks in Baikonur mit dutzenden Toten zu belegen, dass ein Start in Rudisleben nie habe stattfinden können. Es wurde der Umstand, dass die Sowjets nach Abschöpfung deutscher Technik noch 10 Jahre bis zum Start gebraucht hatten, als Beleg genutzt, dass die Deutschen nie hätten schon startklar sein können, die Tatsache unterschlagend, dass die Amerikaner sich der ersten Liga der Raketen- und Atomexperten bedienten, die Sowjets nur den Rest bekamen. Die Entfernung nach Peenemünde sah Elbracht als Unding für eine Raketenproduktion im Jonastal: nach seiner Erfahrung würde möglichst alles nah beieinander konzentriert. Und weil Traudl Junge, Hitlers Sekretärin, in einem Buch nichts von Arnstadt erwähnte, dürfe auch davon ausgegangen werden, dass dort nie ein Führerhauptquartier geplant war.

Lexikawissen vermittelt

Elbrachts Darstellungen gipfelten beim Thema Atomtechnik in der Aussage, er sei zwar kein Experte, habe aber im Brockhaus nachgelesen, und dort würde ausgeführt, dass das mindeste an spaltbarem Material fünf bis sechs Kilogramm seien, die oft erwähnte 100-Gramm-Bombe also gar nicht funktionieren könne.

„Man lese mehr und bohre weniger“, riet der Vortragende, am besten 150000 Euro zu sammeln, zu einem Professor zu gehen und einen Doktoranten auf das Studieren der Stasi-Akten anzusetzen. Dort sei alles nachzulesen.

Viel Neues erfuhr der in die Materie eingeweihte Zuhörer aus dem Vortrag selbst trotz unzähliger aufgelegter Folien zum Stasi-Fundus nicht, zumal Elbracht die zuhörerunfreundliche Angewohnheit praktizierte, dem ohnehin akustisch schwer verfolgbaren hinteren Raumbereich auch noch die Stimme abzukehren und den Gästen den Rücken zuzudrehen, um die Texte der Folie von der Wand abzulesen. Dabei entstand ein – bei aus offenbar seiner Sicht unwichtigen Passagen – teils nicht mehr nachzuvollziehendes Verschwinden von Halbsätzen. Doch da gab es ja dann den Hinweis, dies stehe alles ganz genau in seinem Buch nachzulesen.

Unwissen bezweifelt

Interessant wurde es dann doch noch in der Diskussion, die – und auch das war anders als bei Mehners Vorträgen – erst gar nicht in Gang zu kommen drohte. Elbracht musste das Schweigen mit einer Zusammenfassung brechen, er halte nichts von all den Fantasien, könne sich nur vorstellen, dass irgendeine Art Produktion im Jonastal geplant gewesen sei, welche auch immer.

Nachfragen gab es dann zunächst zu einem genannten Buchautor. Auch hier verwies Elbracht darauf, dass dieser in seinem Buch stehe, nannte ihn dann aber dennoch. Die Nahelegung, ob er, weil doch die Amerikaner viel aus dem Jonastal weggeholt haben, auch in den USA recherchiert habe, verneinte Elbracht. Und schließlich sah er sich Buchautor Martin Stade gegenüber, der dem Vortragenden nicht glauben wollte, dass dessen Vater, kurzzeitig stellvertretender Bürgermeister Arnstadts, von all dem nichts gewusst habe. Stade konfrontierte Elbracht mit einer Quelle, nach der Hitler persönlich im März 1944 zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft in Arnstadt war und auch Rudisleben besucht habe. In Abwesenheit des Bürgermeisters habe Elbracht damals die Ehrenbürgerschaft Arnstadts verliehen. Doch hier irrte der Kritiker, meint Archivar Peter Unger gestern auf Nachfrage von Freies Wort. Unger ist sich nämlich ganz sicher, dass Hitler bereits am 21. März 1933 die Ehrenbürgerschaft in Arnstadt erhielt.

„Wenn das das einzige wäre über Ihren Vater, würd ich`s lassen“, sagte Stade, aber er habe eine Vielzahl Dokumente unterzeichnet, die sehr wohl Kenntnis belegten. Was Elbracht im Vortrag zur Atomforschung sagte, „darüber kann ich nur lachen. Das ist das, was sich Klein-Mäxchen darunter vorstellt“, kritisierte Stade Elbrachts Ausführungen.

Kritik gab es auch von Mehners Co-Referenten Wolf E. Krotzky, beide waren anwesend. So gebe es inzwischen Interviewaussagen aus Hitlers Umfeld, die auf Film festgehalten seien, wonach sehr wohl an einer „Rakete mit extremer Reichweite“ und Startrampe in Rudisleben gearbeitet worden sei.

Elbracht, der für seinen Vortrag und auch gesondert für die Diskussionsrunde im Anschluss herzlichen Applaus von den Anwesenden erhalten hatte, gab abschließend nochmals den Hinweis auf mitgebrachte vertiefende Literatur zu diesem Thema.

Eingangs dankte er bereits all den Vortragenden der Reihe für ihr Engagement, nicht, ohne den Hinweis zu vergessen, dass nicht etwa Zeitungsredakteure die Beiträge in der Presse über die Serie verfasst hätten, sondern er und Vereinsmitglieder – und das „ohne auch nur einen Pfennig dafür zu erhalten“, betonte Elbracht.

THOMAS KLÄMT

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