Wo das Vertrauen starb – 60. Jahrestag Beginn der Bauarbeiten im Jonastal – vom 08.11.2004

Thüringer Landeszeitung – Lokalteil Gotha 08.11.2004

Wo das Vertrauen starb

Crawinkel/Espenfeld. (tlz) In nur sechs Monaten hatten es hier die Nationalsozialisten geschafft, über 7000 Menschen auf Grund grausamer Arbeitsbedingungen und bestialischer Misshandlungen zu töten. Ein neues Führerhauptquartier und unterirdische Rüstungsbetriebe in den Thüringer Muschelkalkbergen sollten den bereits verlorenen Krieg noch retten. Weitere 2700 Häftlinge starben im April 1945 auf den Todesmärschen in Richtung Buchenwald und anderer KZ-Stammlager. Viele der Überlebenden des Sondervorhabens III der SS im Dreieck Arnstadt/Ohrdruf/Crawinkel haben nie wieder einen Weg in die Menschlichkeit oder in die Zivilisation gefunden.

Mit diesen Worten eröffnete Landrat Lutz-Rainer Senglaub aus dem Ilmkreis am Sonntag die Gedenkveranstaltung am Mahnmal zwischen Espenfeld und Siegelbach. Er begrüßte zahlreiche Gäste, darunter den ehemaligen S III-Häftling Victor Wyscheslawski aus Moskau, den Vorsitzenden des Thüringer Verbandes der Verfolgten des Naziregimes, Professor Ludwig Elm, den Vorsitzenden der Geschichts- und Technologiegesellschaft Großraum Jonastal Johannes Alt sowie die Vertreter des Landratsamtes Gotha und die Bürgermeister der umliegenden Städte und Gemeinden.

Verlust an Vertrauen

Senglaubs Gothaer Amtskollege Siegfried Liebezeit (SPD) nannte den schlimmsten Verlust, den die gequälten Menschen am Schreckensort erleiden mussten: das Vertrauen an die Menschlichkeit. Er entschuldigte sich im Namen aller Deutschen bei Victor Wyscheslawski für die begangenen Taten und gab die Verpflichtung ab, die Erinnerung an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wachzuhalten.

Die Gothaer Ethnografin und Buchautorin Helga Rasche informierte die Teilnehmer über den Bau des Lagers und über das menschenunwürdige Leben und Sterben der Häftlinge. „Kerzenschein und Glockengeläut sind zwar Signale, aber diese reichen nicht aus, um der Gefahr von rechts entgegenzuwirken“, mahnte sie mit Blick auf jüngste NPD-Tagungen und Wahlergebnisse.

Dr. Stein von der Gedenkstätte Buchenwald bezeichnete den Untergang der KZ-Häftlinge im Jonastal, wie auch den Untergang der deutschen Bevölkerung in Luftschutzkellern oder in Flüchtlingstrecks als Vakuum der Geschichtsaufarbeitung, gemessen an dem neuesten Werk, das für weiche Kinosessel produziert wurde.

Mosaiksteinchen

Die Dokumentation und die regionalgeschichtliche Literatur aus den Händen der beiden Landräte für den russischen Ehrengast könnten erste Mosaiksteinchen dazu sein. Victor Wyscheslawski appellierte vor allem an die Jugend, gegen den Faschismus zu kämpfen, damit es Frieden auf Erden gibt. „Ich war 17 Jahre alt, als ich ins Jonastal kam. Wie ich überlebt habe, weiß ich heute nicht mehr. Auf dem Rückmarsch hatte ich ein offenes Bein. Zwei Stöcke waren wahrscheinlich meine Rettung.“

07.11.2004 Von Wolfgang Möller

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